45 Grad – zum Ersten … und zum Zweiten

Geschrieben von Markus Müller
Butcher Johannesburg

Fünfundvierzig Grad zum ersten betrug die Temperaturdifferenz zwischen Kloten und Johannesburg. Voller Vorfreude auf den südafrikanischen Sommer liessen wir das Flugzeug zurück stossen.Aber das Triebwerk Nummer zwei fand gar keinen Gefallen an den minus fünfzehn Grad und das pneumatische Starterventil ließ sich mit allen Tricks nicht öffnen. Damit keine Rotation der Turbine und folgerichtig keine Kerosine Einspritzung und keine Zündung. Selbst der magische Mechanical Knock, ein Schlag mit dem Schraubenziehergriff, des herbei geeilten Mechanikers versagte. Also zurück ans Gate.

Uns ahnte schlimmes war doch rasch klar, dass wir die weltweit einmalig frühe Flugsperre des Heimflughafens verpassen würden. Da es sich um eine Folge von Wetter Kapriolen handelte bestand immerhin Hoffnung auf eine Spezialbewilligung. Mittlerweile gab die Mechanikerschar das heizen des eingefrorenen Ventils auf, das Heißluftgebläse schaffte kaum lauwarm. Mit klammen Fingern wechselten die Spezialisten das Startervalve am offenen Triebwerk aus. Hut ab aus unserer warmen Stube in sieben Metern Höhe. Beflügelt waren die Techniker durch ihren bevorstehenden Wechsel zur Airline nach zehn Jahren Asyl. Willkommen zurück in der Heimat. Ein Flugzeug Mechaniker als mein wichtigster Garant für Sicherheit und Zuverlässigkeit gehört in die Airline und nicht in einen spekulativen Wartungsbetrieb. Aber es ist modern nicht auf erfahrene Frontleute zu hören sondern zuerst Kosten pflichtige Erfahrungen zu machen. Die Post-Grounding Manager wussten sowieso alles besser als wir langjährigen Praktiker, notabene mit lautstarker Unterstützung der noch besser wissenden Politiker, die plötzlich alle zu Luftfahrtexperten wurden. Resultat sind verlorene Jahre und Millionen sowie eine neue Stiefmutter  namens Lufthansa. Neun Minuten nach Mitternacht gaben wir Vollgas auf den mittlerweile vier stabil brummenden Triebwerken. Die Dame der Einsatzleitstelle hatte uns mit Charme und Überzeugungskraft eine Stunde Verlängerung besorgt. Unser mitternächtlicher Rundflug hat der Flugplatzdirektion sicher ein paar Telefone beschert während sich Dutzende Pistenfahrzeugführer durch unser spätes erscheinen am Winterhimmel nicht beirren ließen. Die vom Urnerland bis ins Engadin blinkenden Lichter und die tanzenden Scheinwerfer unzähliger Ratracks liessen die uns zu Füssen liegende Schweizer Schneearena als riesiges Lichtspektakel erscheinen.

Fünfundvierzig Grad zum zweiten betrug die Kerntemperatur des perfekt gegarten Steaks. Februar ist mein Fleischmonat mit Sao Paulo, Johannesburg und New York, den Hochburgen von Prime Rib, Ribeye, Porterhouse und T-Bone. Zum Ritual geworden hole ich mir im Bullrun Johannesburg den Rat von Hausmetzger Karl-Heinz und lasse seine Empfehlung in die Küche bringen. Diesmal ein 500 Gramm T-Bone. Er war es auch, der während Jahren unaufgefordert die schönen Filetstücke und Steaks vom Rind zum Ostrich (Strauss) werden liess, im Wissen dass sich die Freimenge damit verfünffacht. Ist verjährt liebe Kollegen vom Zoll und heute ist es eh tabu da alles Fleisch von außerhalb der EU hochgiftig, Träger von Maul und Klauenseuche sowie  Vogelgrippe ist und das mitbringen strengstens verboten ist. Sporadisch müssen die Crews der Fleischflieger zur Gepäckkontrolle antreten. Ton und Umgang erinnern an die Inspektionen in der Rekrutenschule vor vierzig Jahren. Bis zur Autobahnauffahrt lauern jeweils die Kopfjäger und jagen die blutigen Trophäen. Zum Glück für unsere Volksgesundheit gelingt es den Importeuren am Schreibtisch offenbar ihre sechs Tonnen im Laderaum von den erwähnten Seuchen zu befreien. Die Wertsteigerung des Entrecotes von ein paar wenigen Franken auf über sechzig bis zur Schweizer Käuferschaft verleiht Flügel und der Lobby viel Gewicht in Bern. Übrigens hat unsere Fleisch-Stammbeiz Boi Na Brasa in Sao Paulo Erwähnung in der Weltwoche gefunden. Nicht wegen dem Fleisch, obwohl Filet Mignon und Picana einmalig sind mit einer Zentimeter dicken Knoblauchschicht. Aber eigentlich trotzdem wegen Fleisch, einfach anderem. Das Interview zum Bericht „Diener der Weiblichkeit“ mit Otto Weisser, einem der erfolgreichsten Schweizer Fotografen mit über sechshundert Titelfotos im Playboy wurde in dieser, laut Weltwoche „kleinen Fresskneipe“ geführt. Im Artikel erfuhr man auch, dass der Starfotograf seine Schönste der über dreitausend abgelichteten Schönheiten und noch Ehefrau in einer unfreundlichen Übernahme an den Zürcher Opernhausdirektor verloren hatte. Der Zufall wollte es, dass wir mit dem Kantonsratsbüro kurz darauf auf Staatsbesuch in Zürich waren. Ebenso zufällig hatte Gelegenheit  das neue Paar kurz zuvor kennen zu lernen, wobei mir eigentlich nur die schöne Daniela in Erinnerung blieb. Wir wurden auf der Tribüne offiziell begrüsst und Kantonsratspräsident Hartmuth Attenhofer erwähnte, dass uns der Opernhausdirektor am Nachmittag auf Wunsch unseres damaligen Präsidenten Matthias Freivogel im Rahmen einer Führung seine neusten Erungenschaften vorstellen würde. Das minutenlange Gelächter und Gegröle der Zürcher Ratsmitglieder das weder mit Opern noch mit dem grossen Defizit zu tun hatte konnte ich meinen Schaffhauser Kollegen, die nur Bahnhof verstanden, kompetent erklären. Zurück zum Boi Na Brasa. Seit einem Viertel Jahrhundert ist es unverändert, einfach, gut und sogar mit gleichem Personal. Ein Kellner, etwas langsamer auf den Beinen geworden, eröffnete uns allerdings beim letzten mal er gehe jetzt in Pension nach Salvador. Zum Abschied schenkte er uns das verbeulte Alu Bierkübeli mit den Abdrücken der Gebisse unzähliger Kollegen und vielleicht auch von Otto Weisser und seiner schönen Daniela.

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