Unabhängiger von den USA werden, heisst es allenthalben; in der Fliegerei wie in vielen anderen Belangen unserer hochtechnischen Wohlstandsgesellschaft eine Illusion. Schweizer und die ETH haben wohl unzählige Grundlagen für wegweisende wissenschaftliche und technische Entwicklungen bereitgestellt. Was Albert Einstein und Wolfgang Pauli für die moderne Physik und die daraus hervorgegangenen Anwendungen (bis zur Atombombe) sind, ist Jakob Ackeret für die Flugzeugentwicklung. Die ETH wurde damals sogar als aerodynamische Denkfabrik bezeichnet und legte zahlreiche Voraussetzungen für die Entwicklung, Konstruktion und den Betrieb von Flugzeugen.
Leider gelang es der Schweiz kaum, die Erkenntnisse und Ideen zu marktreifen Produkten zu entwickeln. Viel Know-how und gut ausgebildete Ingenieure und Wissenschaftler wanderten deshalb ins Ausland ab, meist in die USA. Mir erging es als stolzer und ambitionierter Absolvent des ETH-Aerodynamik-und-Flugdynamik-Studiums gleich, und ich begann bei Martin Marietta Luftfahrttechnik in Orlando, Florida.
Lange wurde die Luftfahrttechnik, insbesondere die Linienfliegerei, fast ausschliesslich durch amerikanische Firmen geprägt, bis Airbus als staatlich geförderter europäischer Hersteller ins Spiel kam. Aber man darf nicht vergessen, dass in jedem Airbus viel US-Technologie und Komponenten von marktbeherrschenden amerikanischen Firmen stecken. Mit der Einführung des globalen Navigationssatellitensystems GPS (Global Positioning System) mit metergenauer Navigation und der enorm besseren Nutzung des immer knapper werdenden Luftraums wurde man sich der Gefahr der Abhängigkeit bewusst, dass das amerikanisch beherrschte System aus politischen, wirtschaftlichen oder kriegerischen Gründen abgeschaltet oder manipuliert werden könnte.
Die kommerzielle Luftfahrt hat dafür als Back-up-System die traditionelle Trägheitsnavigation beibehalten. Mit mechanischen oder neu laserbasierten Kreiseln kann weiterhin boden- und satellitenunabhängig navigiert und geprüft werden, ob Satelliten falsche Informationen liefern. Die Abhängigkeit von GPS ist für Privatpersonen mit Auto und Smartphone wahrscheinlich grösser. Übrigens, obwohl die ganze Welt ausser den USA, Uganda und Myanmar metrisch rechnet, hat sich die internationale Luftfahrt mit Ausnahme Chinas, wo beim Einflug in den chinesischen Luftraum die Höhenmesser umgestellt werden müssen, dem amerikanischen Diktat gebeugt und fliegt mit Fuss und nautischen Meilen.
In den USA gebaut und auch wieder dort zerstört
Kürzlich habe ich von einem Flughafenarbeiter in Arizona ein Foto bekommen mit einem abgebildeten Metallhaufen. Gut sichtbar darauf die Beschriftung N645FE. Den zusammengepressten Metallhaufen haben wir im Mai 1991 als sechzehnte gebaute MD-11 mit der Werknummer 463 in Long Beach abgeholt. Sie flog mit der Immatrikulation HB-IWD für Swissair mit dem Taufnamen Thurgau und dann für Swiss umgetauft auf Lenzspitze. Ich habe unzählige Flüge mit der IWD gemacht und führte den Abgabe-Testflug am 4. August 2003 durch. Mehrere Stunden prüften wir die Flugzeugsysteme auf Herz und Nieren hoch über den Alpen, stellten Triebwerke ab und machten in Kloten Anflüge, um die Maschine den neuen Besitzern in einwandfreiem Zustand zu übergeben.
Das Grossraumflugzeug flog dann weitere 13 Jahre bei der brasilianischen Varig und als Frachter umgebaut bei FedEx mit der Immatrikulation N645FE. Es stand die letzten Jahre auf der ehemaligen George-Airforce-Basis in Victorville auf der drei Quadratkilometer grossen Abstellfläche für temporär oder definitiv ausser Betrieb genommene Flugzeuge in der kalifornischen Mojave-Wüste. Gegen 500 Flugzeuge bis hin zu über einem Dutzend A380 warten auf ihren Wiedereinsatz, dienen als Ersatzteillager oder werden, wie unsere ehemalige HB-IWD im Dezember letztes Jahr, verschrottet.
Nicht nur Technologie wird diktiert und kontrolliert
Seit Langem verlangen die USA die Daten von jedem Passagier und Crewmitglied vor Reiseantritt. Für eine visafreie Einreise muss vorgängig die zwei Jahre gültige Esta-Registration online beantragt werden. Nach Prüfung der persönlichen Daten bis hin zu den Namen der Eltern und Angaben über Krankheiten sowie der erfolgten Überweisung von 21 Dollar per Kreditkarte bekommt man ein Mail mit der Autorisation zur Reise über den Nordatlantik, aber keine Garantie zum Einlass.
Gleiches hätte die Schweiz im Gegenzug schon lange machen müssen. Einerseits um zu wissen, wer bei uns einreisen will, und andererseits, um im Gegenrecht Gebühren zu verlangen. Die Datenübermittlung kommt offenbar – aber wie oft – erst auf Druck der USA. Die US-Luftfahrtbehörde setzt auch im Flug ihre Vorschriften durch.
Die Cockpittüre muss am Boden zu und in der Luft verschlossen sein. Es muss auf jedem Nordatlantik-Flug eine Ansage gemacht werden, die Passagiere dürften sich nicht in Gruppen vor der Toilette aufhalten. Was natürlich von uns brav gemacht wird. Auf US-Flugzeugen habe ich diese Ansage allerdings noch nie gehört und meist ist ihre Cockpittür am Boden weit offen. Nach dem 11. September 2001 wurden Cockpitbesuche im amerikanischen Luftraum untersagt. Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt, und der Entscheid, jemanden ins Cockpit zu nehmen, blieb beim Piloten.
Bei Nichtbefolgen der einseitigen Vorschriften drohen hohe Bussen oder Entzug der Landebewilligung. Etwa beim Verstoss gegen das vom amerikanischen Kongress erlassene Gesetz «Emotional Support Animals», also Tiere, welche den Besitzer emotional unterstützen, gratis in der Kabine befördern zu müssen. Auf dem Flug nach Chicago hatte eine Dame einen gemäss dem Ladeblatt 64 Kilogramm schweren Hund dabei, den wir aufgrund des wahrscheinlich leicht erhältlichen Gefälligkeitszeugnisses eines Psychiaters, das bestätigte, die Frau brauche den Hund in ihrer ständigen unmittelbaren Nähe, akzeptieren mussten.
Der Sitznachbar und das Kabinenpersonal waren wenig erfreut auf dem über zehnstündigen Flug. Ich erlaubte mir die sehr höflich formulierte, um nicht wegen Diskriminierung belangt zu werden, Frage, was sie denn mache, wenn der Hund mal müsse. Kein Problem, meinte die Dame, sie werde dem Schwergewicht vor dem Start Windeln montieren.
Immerhin musste ich nie, wie Kollegen in den USA passiert, Taranteln oder Kängurus akzeptieren. Bei der Einreise ist man gut beraten, dem allmächtigen Einreiseoffizier gegenüber sehr freundlich und geduldig zu sein, wenn er den Pass hinten und vorne studiert. Trotz langer Wartezeit lohnen sich ein paar lobende Worte über seine Genauigkeit, das Einreiseverfahren und das wundervolle Land. Nie erwähnen sollte man, in der Nähe von Nutztieren gewesen zu sein, obwohl das jeder Schweizer vom Land ist, sonst droht eine lange Befragung im Separee.
Rasche Parteinahme – schnell wieder vergessen
Ich war an einem Kongress in Las Vegas, als der Ukrainekrieg ausbrach. Sofort wurden überall in der Stadt und den Hotels gelb-blaue Fahnen und Sympathietexte aufgehängt. Die Beleuchtung der millionenfach fotografierten Ortstafel am Eingang zum Strip wurde auf Gelb-Blau gewechselt und mit einer Tafel die Unterstützung der Ukraine erklärt: «The perimeter lights on the sign are blue and yellow in support of Ukraine.»
Wie üblich an solchen grossen Meetings spricht jeden Morgen und vor dem Essen jemand ein Gebet. Die Soldaten, Einwohner und Machthaber der Ukraine wurden langfädig ins Gebet eingeschlossen. Und das, obwohl die meisten nicht wussten, wo das Land liegt und worum es geht.
Ein Jahr später, gleicher Kongress, keine gelb-blauen Fahnen mehr und im Gebet wird nicht mehr die Ukraine, sondern wie jedes Jahr langfädig der tagende Verband, die Familie des Sprechers von den Enkeln bis zu den Urgrosseltern selig sowie die Pferde und Rinder auf seiner Ranch genannt.
Die Ukraine ist kaum mehr präsent, die Ortstafel leuchtet wieder Standardgelb, und der goldene Trump-Hoteltower blendet immer noch dominant im Hintergrund. Für dieses Jahr haben sich übrigens einige Kanadier vom Kongress abgemeldet, aber auch das wird sich wieder einrenken.