Trotz fast mitternächtlicher Stunde zeigt das Thermometer immer noch achtundzwanzig Grad und das schwere Ding hebt trotz vier schiebenden Motoren nur widerwillig ab, kämpft um jeden Meter Höhe. Noch vor dem Rhein müssen wir tief, zusätzlich Steigleistung vermindernd, abdrehen um der einseitigen deutschen Luftraumverordnung zu genügen. In Kloten werden bekanntlicherweise die vorgeschriebenen Flugwege nicht nach physikalischen, aerodynamischen oder wirtschaftlichen Grundsätzen definiert, sondern suboptimal und den genannten Grundsätzen, die sonst auf der ganzen Welt gelten, widersprechend von Deutschland und Flugverkehrs(lärm) Gegnern vorgegeben.
Tatsächlich wurde zwischen Deutschland und der Schweiz im unteren Luftraum eine neue Grenze aufgebaut wohingegen die Grenzen zwischen den nationalen Lufträumen weltweit weitgehend fallen. Auf dem Flug nach Johannesburg müssen wir lediglich den Luftraum von Lybien aus verständlichen Gründen meiden und mit Zeitverlust und Mehrverbrauch an Kerosin umfliegen. Ansonsten geht es direkt und völlig unkompliziert über diverse afrikanische Staaten. Lediglich Kommunikation und Verkehrskoordination ist teilweise schwierig und einmal mehr erreichen wir Niamey mit dem im Zeitalter der Satelliten Telefonie antiquarischen HF Funk erst als wir ihren Luftraum bereits wieder verlassen haben. Eigentlich ist der Controller auch nur an der Nennung der Immatrikulation interessiert um die Rechnung für den Überflug stellen zu können. Gefahr bedeuten die Kommunikationslücken eh keine, sind wir doch in stetigem Kontakt mit den übrigen Flugzeugen, etwa der nachfolgenden Lufthansa A380, die ihrer Rufnummer stolz den Zusatz SUPER anfügt. Unsere A340 geht in die bescheidenere Kategorie HEAVY was uns natürlich nur bestärkte uns nicht überholen zu lassen und als erste in Joburg zu landen. So unkompliziert war es nicht immer. Zu Zeiten der Apartheid war der Luftraum gewisser afrikanischer Staaten für den Flug nach Südafrika gesperrt. Wir lösten es mit Zwischenlandungen, die South African Airline musste einen riesigen Umweg ausserhalb Afrikas via Südatlantik fliegen. Sie benutzte dazu den hässlichen kurzen super Langstrecken Jumbo der an Stelle von Ladung Unmengen von Treibstoff mitführen konnte. Vor allem Richtung Osten hat sich die Situation extrem verändert und die Grenzen wirken sich praktisch nur noch finanziell in den Gebühren oder zunehmend in der Überlastung der Flugstrassen aus. Vor diesem Flug war ich in Kreuth, nahe der tschechischen Grenze. Autobahn Richtungsschilder wie Lichtenau, Dresden, Prag oder Berlin haben mich an Zeiten erinnert, wo es noch ganz anders war. Lichtenau war früher ein sogenannt ungerichtetes Funkfeuer mit der Abkürzung LAU. Ich und viele meiner Kollegen werden diese drei Buchstaben nie vergessen. Wehe die Nadel am damals relativ ungenauen Navigationsinstrument kippte beim passieren westlich ab. Prompt kam die Warnung des Fluglotsen, die militärische Luftraumkontrolle der damaligen DDR habe bereits interveniert wegen Luftraumverletzung und man solle gefälligst sofort den Flugweg korrigieren. Wir sahen bereits im Geiste die russischen MIGs auftauchen am Flügel und stellten uns die russischen Verhöre wegen Spionage vor. Spezialflüge an die Messe Leipzig durften nicht via Deutschland geflogen werden, sondern wir mussten zuerst in die Tschechoslowakei fliegen und dann mit einem riesigen Umweg Leipzig von Osten her anfliegen. Der Tokyo Flug musste über den Nordpol mit Zwischenlandung in Anchorage Alaska durchgeführt werden, da Sibirien nicht überflogen werden durfte. Speziell waren auch die Flüge in die kommunistischen Metropolen, wo äusserst exakte Navigation in engen Korridoren gefordert war. Die Kommunikation in Englisch war sehr schwierig und durch Übersetzer am Boden zusätzlich umständlich und träge. Hingegen hatten wir als Flightcrew relativ viel Freiheiten während dem Aufenthalt. Dabei gab es auch kuriose Situationen. Etwa als ein Kollege nach einem Ausflug in die Berge Pakistans nicht mehr in Indien einreisen durfte. Mit Glück schaffte er es via Zürich gerade noch rechtzeitig nach Delhi für den Rückflug.
Symbolisiert wurden die unsichtbaren aber strikt durchgesetzten Grenzen im Luftraum durch die Berliner Mauer die vor genau fünfzig Jahren gebaut wurde. Und genau so symbolisch wurden sie mit dem Fall der Mauer gelockert und schliesslich aufgehoben. Der Mauerfall selber wurde nicht überall so spektakulär wahrgenommen wie in Europa. Ich war damals in Rio und mir ist die Liftfahrt im Hotel mit Olivia Newton Jones in grösserer Erinnerung geblieben als die Berichterstattung über das historische Ereignis. An der Copacabana gab es eh andere Themen. Massgeblich beteiligt an diesem Wandel mit nachfolgendem Zerfall der Sowjetunion war Michail Gorbatschow. Jahre danach hatte ich ihn als Passagier auf einem Flug nach Moskau. Der freundliche ältere Herr folgte bereitwillig der Einladung ins Cockpit, eine Unterhaltung war aber fast unmöglich wegen sprachlichen Barrieren und beschränkte sich auf freundliches Lächeln und Nicken. Hingegen war seine äusserst nette Frau sehr gesprächig und unterhaltsam.
Bei der Landung in Johannesburg erwarteten uns übrigens Vorgestern kalte zwei Grad. In zehn Stunden vom Schaffhauser Hochsommer in den südafrikanischen Winter und in einer gedanklichen Zeitreise vom kalten Krieg mit begrenzten Lufträumen in einen nahezu Grenzen losen Himmel. Ausser zwischen Deutschland und der Schweiz.