Weiter Bogen um Tornado, Taifun und Hurrikan

Geschrieben von Markus Müller

Tornados sind kleinräumige Luftwirbel die von Auge gut gesehen werden können. Ich habe Spuren von ihnen gesehen in Texas wo nichts mehr steht wo sie durchgekommen sind. Weder Häuser noch Autos halten ihnen stand. Für den Flugbetrieb sind die beiden anderen Kategorien tropischer Wirbelstürme, Taifun und Hurrikan, bedeutungsvoll aber keine eigentliche Gefahr - solange man ihnen grossräumig ausweichen kann. Anders ist es bei grossen Gewitterfronten mit Ausdehnungen von bis zu tausend Kilometer wo man irgendwo durch muss. Man muss mit dem Bordradar ständig den Luftraum absuchen durch kontinuierliches Ändern des Antennenwinkels und der Reichweite. So findet man dann hoffentlich einen Flugweg mit weniger intensiven Radarechos den man riskieren will.

Überrascht werden kann man dann allerdings wenn nachfolgende Gewitterzellen durch davor liegende im Radar abgedeckt sind und gar nicht oder nur als „harmlos“ angezeigt werden und dann plötzlich tiefrot wieder auftauchen. Auf einer Flugroute von Los Angeles die eigentlich über Chicago führte, mussten wir gut tausend Kilometer südlich fliegen über Tennessee und Virginia um einer riesigen Squall-Line (Gewitter Linie) auszuweichen. In den USA helfen die Fluglotsen enorm zudem der Luftraum in den USA viel grossräumiger kontrolliert wird als bei uns. In Afrika mit den riesigen Gewitterfronten ist man hingegen auf sich selber gestellt, allenfalls mit gegenseitiger Hilfe mit Kollegen. Man kommt sich dann ziemlich einsam vor mit einer enormen Verantwortungslast im wetterleuchtenden nächtlichen Wolkenmeer.
Mein erster Taifun
Ich freute mich auf meinen ersten Hongkong-Flug als Kapitän. Im Flugplanungsbüro wurden wir allerdings mit sorgenvollem Blick empfangen. Es sei ein Taifun im Anzug. Man kläre ab ob wir nur bis Bangkok fliegen würden oder nach Hongkong mit möglicher Ausweichlandung in China. In dem Fall sei die Ungewissheit eine Landeerlaubnis zu erhalten gross da wir nicht die einzigen wären die ins chinesische Hinterland ausweichen wollten. Schlussendlich meinten die Meteorologen es sollte reichen zur Landung bevor der Wirbelsturm den Flugplatz erreiche. Sie empfahlen rasch und mit erhöhter Geschwindigkeit loszufliegen. Wir liessen die Fracht stehen, um entsprechend mehr Treibstoff laden zu können. Dies um einerseits schneller zu fliegen und vor dem Taifun in Honkong anzukommen. Und andererseits genügend Reserven an Bord zu haben um einen Ausweichflughafen anzufliegen in gebührlichem Abstand vom Sturm. Wir waren in ständigem Kontakt mit unseren Meteorologen die uns laufend Satellitenbilder vom Taifun schickten mit Information wie schnell er sich bewegt bis wir uns Hongkong mit Vollgas näherten und selber ein Bild machen konnten mit unserem Bordradar. Eine riesige Verbesserung und grosser Gewinn an Flugsicherheit übrigens vom einfarbigen schlecht auflösenden Radar mit einem einzigen Bildschirm der DC-10 zur farbigen hoch auflösenden MD-11 Darstellung in den Navigationsbildschirmen beider Piloten. Ein etwas mulmiges Gefühl umgab uns schon beim ersten Anflug auf den neuen Flughafen Chek Lap Kok, da schon dort reduzierte Sicht durch die Wolkenlücken herrschte: entweder auf Wasser oder Wolkenkratzer. Die Nähe zum Taifun schüttelte uns tüchtig durcheinander zudem es sowieso immer recht bockig ist mit unberechenbaren Windänderungen in der bizarren Hügellandschaft im Anflug auf disen Flughafen. Dieser ist auf einer abgetragenen Insel gebaut, ähnelt einem Flugzeugträger – und ist der weltweit grösste Frachtflughafen. Eine schöne Landung war nicht das Ziel wir wollten einfach sicher auf den Boden kommen - was uns auch gelang. Die Vorfreude auf den schönen dreinächter Aufenthalt war allerdings etwas getrübt. Im und rund ums Hotel wurden Fenster und Türen mit Holzbrettern verbarrikadiert um dem Taifun unbeschadet standhalten zu können. So nahmen wir halt den wohlverdienten „Nach - dem - Flug - Apéro“ im Hotel ein statt im legendären Jazzlokal "Ned Kelly's Last Stand" oder dem Musik Pub „Dusk Till Dawn“.  
Es kommt noch schlimmer
In den letzten Wochen hat man viel gehört über den Hurrikan Milton der Florida heimsuchte. Das hat schlimme Erinnerungen hervorgerufen und ich konnte mit den Einwohnern in der Region Tampa mitfühlen. Als wir im Oktober 2005 die Flugplanung für den Miami Flug machten war Wilma ziemlich stationär über Mexiko. Der Sturm wütete zweimal mit der Maximalstärke 5 im Land aber bewegte sich mit weniger als zehn Stundenkilometer vorwärts was uns in der falschen Sicherheit wiegte wir würden vor seinem allfälligen Eintreffen wieder zu Hause sein. Hurrikans sind übrigens identisch mit Taifunen, ausser dass sie im Atlantik entstehen gegenüber im nördlichen Pazifik. Der Wirbelsturm bewegte sich nur sehr langsam und es war ungewiss ob er Florida überhaupt heimsuchen werde. Wir verfolgten Wilma natürlich ständig während des Flugs und hielten dann auch im Hotel den Kontakt mit unseren Meteorologen aufrecht als unser Flugzeug längst wieder mit den Kollegen unterwegs in die Schweiz war. Über Nacht änderte sich die Situation allerdings rasch und dramatisch. Wilma bewegte sich mit zunehmender Geschwindigkeit plötzlich genau Richtung Florida und Miami. Die Nachrichtensendungen berichteten pausenlos ernst und eindringlich. Der tropische Bundesstaat ist die Herbststürem gewohnt und es lief vieles wie geplant, geübt und im Ernstfall erprobt ab. Flugzeuge, ob gross oder klein, wurden aus dem Gefahrengebiet weggeflogen, die Flugplätze geschlossen, Türen und Fenster mit Brettern zugesperrt, Vorräte aufgefüllt. Ein Flight Attendant holte sich im Supermarkt ein paar gebratene Hühner, man könne ja nie wissen.    
Die Erinnerung an Wilma
Als ich die Meldungen über Milton sah und mich erinnerte, wie wir relativ locker im Hotel warteten was kommt, waren wir vielleicht etwas leichtsinnig. Rückblickend würde ich mit der Crew abreisen vor dem Sturm. Wobei abreisen nicht so einfach ist, wenn das Flugzeug weg ist und keines mehr kommt für eine Woche wie in unserem Fall und die Strassen verstopft sind. Milton traf Florida dann zum Glück weniger schlimm als befürchtet. Unsere „Wilma“ war ein gutes Stück schlimmer.  Die Hurrikan Stärke wird mit dem minimalen Luftdruck im Zentrum und der maximalen Windgeschwindigkeit definiert. Wilma hält den Tiefdruck Rekord der letzten hundert Jahre mit 882 hPa oder mBar während es Milton auf 897 hPa brachte. In der Windgeschwindigkeit wurde Wilma mit 295 km/h nur 1980 von Allen mit 305 km/h übertroffen, Milton kam auf 285 km/h. Zum Glück schwächen sich Hurrikans vor dem Landfall meist ab. Das Schadensbild ist abhängig davon wie die betroffenen Siedlungen gebaut sind. Miami ist gut vorbereitet und relativ gut gebaut.  New Orléans wurde dagegen vom schwächeren Katrina niedergemäht und die Häuser an der Westküste Florida sind auch nicht mit der Schweizer Bauweise vergleichbar. Auf jeden Fall war es unheimlich. An das Rütteln des Sturms an den Fenstern gewöhnte man sich, aber als dann plötzlich das ganze Hotel zu schwingen begann wurde ich im Bett im zwölften Stock fast seekrank und die Verschiebung in die übervolle Lobby schien mir sicherer. Nach ein paar Stunden war der Spuk vorbei und man konnte sich die eindrücklichen Schäden anschauen. Allein bei Wilma gegen hundert Tote und 29 Milliarden Dollar Schaden.
Bundesstaaten, Städte und Kommunen in den Hurrikan Gebieten sind gut vorbereitet vor und nach dem Sturm. Die Aufräumarbeiten beginnen sofort mit richtiger Priorität. Miami funktionierte nach vier Tagen wieder weitgehend. Zusätzliche Aufräumarbeiten und Hilfestellung werden effektiv, rasch und unbürokratisch durch die nationale Bundesagentur für Katastrophenschutz FEMA (Federal Emergency Management Agency) geleistet. Es werden nicht nur Maschinen und Manpower zur Verfügung gestellt sondern auch mit Geld geholfen für den unmittelbaren Lebensunterhalt oder Mieten. Ich hatte Gelegenheit mich am Strand von Fort Lauderdale und danach in der Strandbar mit einem FEMA Mitglied zwischen zwei Einsätzen zu unterhalten. Es sind eindrückliche Berichte die unter die Haut gehen. Über einen (Schaffhauser) Passagier ärgerte ich mich auf dem Rückflug nach Wilma. Er beschwerte sich ziemlich aufsässig wegen seines ausgefallenen Flugs am Datum des Hurrikans und des wegen der zerstörter Flughafeninfrastruktur geänderten Menüs.  

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