Wenn Flugzeuge Vögel transportieren

Geschrieben von Markus Müller

Über den Wolken  Markus Müller über die Luftrettung von Schwalben und die Faszination, mit fremden Flugzeugen zu fliegen

Wenn Flugzeuge Vögel transportieren

Vor fünfzig Jahren wurde nördlich der Alpen eine beispiellose Luftbrücke eingerichtet, um Schwalben in den Süden zu fliegen. In der ersten Oktoberwoche 1974 brach der Winter ein und Millionen von Schwalben drohten zu verenden, da sie wegen des anhaltenden Regens, frühem Schneefall und der ausserordentlichen Kälte zu schwach waren, um die Reise in den Süden anzutreten. Während einer Woche flogen Swissair und andere Fluggesellschaften von Kloten aus etwa eine Viertel Million Vögel in den Süden.

Swissair verwendete dazu Frachtflugzeuge oder lud die Kisten mit den Schwalben in den Frachtraum von Linienmaschinen. Sonst sind Vögel, vor allem grosse oder im Schwarm, gefürchtet. Sie können Triebwerke stark beschädigen und sogar zu Ausfällen führen oder Störungen am Fahrwerk oder den Steuerflächen verursachen. Bei der grossen Geschwindigkeit werden sie nur als kleiner, rasch vorbeifliegender Schatten wahrgenommen. Wenn dieser von einem lauten dumpfen Knall begleitet wird, wird der erste Blick auf die Triebwerk-Instrumente gerichtet. Wenn es beim Start oder im Landeanflug passiert, werden Turm und Unterhaltsbetrieb informiert, um das Flugzeug auf Schäden zu untersuchen.

Eine Begegnung in der Höhe

Im Anflug auf Bukarest kollidierten wir mit einem grossen Vogel mit der Frontscheibe. Ziemlich unappetitliche Reste blieben am Scheibenwischer hängen und der das Flugzeug kontrollierende Copilot musste mir das Steuer übergeben, da seine Sicht durch den blutigen Film stark eingeschränkt war.

Flugplätze sind Brutstätten für Vögel mit ihren ökologischen Grasflächen. Es gibt verschiedene Methoden, die Vögel zu vergrämen. Auch am Flugzeug selbst wurde schon viel ausprobiert, um Zusammenstösse zu vermeiden. Ein Swissair-Kapitän entwickelte in den Neunzigerjahren eine stroboskopische Lampe, die man hinter der Frontcockpitscheibe anbringen sollte. Wir haben das mit der DC-9 ausprobiert, aber keine Verbesserung festgestellt. Es wurde daraus kein Geschäft.

Aber nicht nur in Flugplatznähe trifft man Vögel. Nördlich von Rom begegneten wir einem Vogel in über 5000 Meter Höhe. Als ich der Vogelkennerin Vreni Homberger aus Beringen die für mich unglaubliche Begegnung schilderte, meinte sie, das könne sehr gut sein. Vögel würden auf ihrer Reise in den Süden auf grosse Höhen steigen und dann ausruhend abgleiten.

Segelflugpiloten hingegen lieben Vögel. Wenn diese kreisen, heisst das, sie haben einen «Schlauch», einen Aufwind entdeckt, in dem sie sich in die Höhe schrauben, was ihnen der gewiefte Segelflugpilot natürlich sofort nachtut und kreisend an Höhe gewinnt.

Vögel haben mich diverse Male vor einer Landung im Feld gerettet, wenn der Boden immer näher kam und keine Aufwinde am Segelflugzeug rüttelten. 

Mit fremden Vögeln fliegen

Den Schwalben rettete das Fliegen mit fremden Vögeln aus Metall das Leben. Für Piloten ist es ein besonderer Anreiz, fremde Flugzeuge selber fliegen zu können. Als technischer Pilot der DC-10-Flotte hatte ich das Privileg, technische Abnahme-Flüge nach Grossüberholungen, sogenannte Heavy Maintenance Visit (HMV), durchführen zu können. Linienflugzeuge durchlaufen ein kompliziertes Check-System. Es beginnt mit dem Tagescheck auf Langstrecken nach jedem Flug. Der Wochencheck wird an der Homebase oder auf ausgewählten Destinationen gemacht. Es folgen die grösseren Kontrollen A-Check, C-Check und D-Check, auch HMV genannt, nach sechs bis acht Betriebsjahren. Swissair-Technik war weltweit einsame Spitze und führte diese Grossüberholung in knapp zwei Wochen zuverlässig durch. Als die Geschäftsleitung kurz vor dem Grounding Kosten optimieren wollte und diese Checks nach Südafrika vergab, fehlten die Flugzeuge viel länger. Das Flugzeug wird teilweise bis aufs Gerippe zerlegt und jede Schraube und jeder Bolzen überprüft. Bevor es dem Flugbetrieb übergeben wird, muss ein Testflug durchgeführt werden. Wir hatten dafür eine Abmachung mit der Flugverkehrskontrolle, die uns einen reservierten Luftraum über dem Engadin oder dem Allgäu zuteilte, um ungestört die umfangreichen dreidimensionalen Flugmanöver durchführen zu können. Auf den Flügen waren zwei Piloten, der Flightengineer, der Testengineer und Technik-Spezialisten. Bei Fremdkunden zudem Vertreter der Besitzer und Betreiber als Beobachter. Es kamen immer wieder Anfragen für eine Teilnahme auf solchen Flügen. Wir lehnten das in der Regel ab, aus Versicherungsgründen und weil es kein Vergnügen ist, da die Flugmanöver oft am Limit sind und für Personen in der Kabine unangenehm und beängstigend sein können. Es werden alle Systeme geprüft, das Flugzeug drucklos gemacht, um die Sauerstoffmasken in der Kabine auszulösen, Langsamflugeigenschaften und entsprechende Warnungen ausgetestet, Triebwerke abgestellt und wieder laufengelassen, Anflüge und Durchstartmanöver durchgeführt und hie und da eine Plauschrunde oder ein Formationsflug mit Militärjets angehängt. Solche Flüge dauern drei bis vier Stunden. Bei Beanstandungen und nach Behebung des Problems wird sobald als möglich wieder gestartet. Abnahmeflüge von fabrikneuen Flugzeugen können bis zehn Stunden dauern. Auf diesen Flügen habe ich richtig fliegen und das Flugzeug in- und auswendig kennengelernt. Es hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass wir auf den halbjährlichen Checks kaum technische Fragen gestellt bekamen, da wir mehr wussten als die Fluglehrer, die sich keine Blösse geben wollten. 

Fliegen mit staunenden Kollegen

Neben der Swissair-Flotte führte der Technik-Betrieb auch Überholungen für Fremdairlines durch. Die Testflüge vor der Übergabe an die Kunden führten ebenfalls wir durch. Das war ein Übereinkommen mit unserem Unterhaltsbetrieb, da die Techniker nicht jeder Crew aufgesessen wären. Da waren vor allem die Maschinen der KSSU Allianz. Der Zweckverbund für technische Zusammenarbeit und Einkauf von KLM, SAS, Swissair und UTA begann 1958 und war äusserst erfolgreich im Gegensatz zu den Verbünden kurz vor und nach dem Grounding. Diese Flugzeuge waren problemlos zu fliegen, da sie gleich spezifiziert und instrumentiert waren. Die uns zuschauenden SAS-Piloten zeigten sich jeweils erstaunt, wenn wir automatische Landungen durchführten. Sie nutzten diese Möglichkeit nicht und waren auch nicht ausgebildet oder berechtigt dazu, da es in Skandinavien und an ihren Destinationen weder Bodennebel noch entsprechende Sender auf den Flugplätzen gibt. Wir führten auch Testflüge für ausländische Fluglinien durch. So plagten wir die einzige DC-10 von Ghana Airways, zwei Maschinen von Philippine Airline, Air Mozambique, Nigeria Airways, Biman (Bangladesch), Continental (USA), Northwest (USA) und Viasa (Venezuela). Die Flugzeuge aus tropischen Ländern kamen zum Teil in desolatem Zustand mit viel Korrosion nach Zürich wegen des feuchten tropischen Meeresklimas. Aber auch diese verliessen nach der eingehaltenen Standzeit den Hangar praktisch im Neuzustand und wurden von uns auf Herz und Nieren geprüft. Wir mussten oft schmunzeln, wie diese Piloten uns staunend über die Schultern schauten und Möglichkeiten ihres Flugzeugs entdeckten, die sie weder kannten noch je benutzt hatten. Während dem Viasa-Testflug gaben wir der Schweizer Luftwaffe die Möglichkeit, Abfangübungen zu machen. Für die Militärpiloten war es ein Highlight, sich einem ausländisches Grossraumflugzeug nähern zu können. Und nähern hiess bis auf wenige Meter, was wir natürlich bildlich festhielten. Ein Tiger-Pilot rief mich daraufhin an, ich solle bitte die Bilder nicht veröffentlichen, er sei näher als erlaubt geflogen. Besonders in Erinnerung bleiben mir die Flüge mit den Biman-Flugzeugen und das Gaudi, das wir mit den Piloten aus Bangladesh hatten. Die Biman DC-10 waren übrigens bis genau vor zehn Jahren als Passagierflugzeuge in Betrieb. Die S2-ACR flog als letzte DC-10 weltweit das letzte Mal mit Passagieren von Dhaka nach Birmingham. Für die Abgabe Testflüge der letzten Swissair DC-10 hatten wir, da bereits auf MD-11 umgeschult und im Einsatz, eine Spezialbewilligung des Luftamts. Mit etwas Wehmut trennten wir uns nach dem Kontrollflug für die Käufer von den beliebten Flugzeugen mit Cervelat, Brot und einem Glas Weissen in der Kantine.

 

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