Die Wahlen sind vorbei und ich kann die Kolumne weiterhin mit „Kantonsrat“ unterschreiben. Warum steht noch Linienpilot obwohl ich keine Grossraumjets mehr fliege? Die Antwort ist einfach, es ist die Bezeichnung für meinen gelernten Beruf, so wie sich ein Landwirt das ganze Leben lang Landwirt nennt. Ich werde es auf „Altpilot“ ändern wenn ich keine Fluglizenz mehr habe und der Schnauz weg ist. Eine andere häufige Frage ist, wie man neben dem Flugeinsatz überhaupt politisieren kann. Die Antwort wird erstaunen. Nach meiner Erfahrung ist die Kombination Mitglied eines Parlaments und Langstreckenpilot eine gut verträgliche Kombination.
Die Sitzungen lassen sich gut mit dem Flugdienst koordinieren. Parlamentsarbeit heisst Akten studieren und Stellungsnahmen, Reden und Vorstösse schreiben. Wenn man zwölf Stunden zu zweit im Cockpit sitzt und das meist bei Nacht hat man viel Zeit zum Lesen oder in den Laptop zu tippen. Moderne Flugzeuge haben die sogenannte „Dark Cockpit“ Philosophie. Das heisst alle Warnlampen sind schwarz und leuchten nur auf, begleitet von einem Warnton, wenn ein Problem auftaucht oder ein Flugzeug auf Kollisionskurs ist. Piloten sind zudem im „Scannung“ trainiert. Das heisst ihr Blick wandert ständig von Instrument zu Instrument. Ich habe das zu lesende Dokument einfach ins Scanning mit eingeschlossen. Ganz wichtig, es ist im Cockpit immer abgesprochen und der zweite Pilot ist nur beim Flugzeug. So wie es auch gestattet ist, dass einer der beiden Piloten einen Kurzschlaf macht. Ebenfalls bleibt an den Destinationen viel Zeit für politisches Homeoffice mit Verzicht auf den einen oder anderen Ausflug oder dem vorziehen des Liegestuhls am Pool gegenüber der Beach. Nicht unwesentlich hat man als Langstreckenpilot einen weltoffenen weiten Blickwinkel was der Schaffhauser Politik nur gut tut. Exekutivämter lassen sich viel schwieriger mit dem Flugplan vereinbaren und für ein politisches Vollamt ist Fliegen einfach viel zu schön. Eine lustige Episode hatte ich vor fünfzehn Jahren. Der damalige Chefpilot, er fand nur Milizmilitär aber nicht Milizpolitik müsse von der Firma ermöglicht werden, wollte mir eine Beschränkung auferlegen. Ich schrieb daraufhin dem damaligen CEO Christoph Franz, ich würde nächstens als Kantonsratspräsident gewählt aber das Amt ablehnen mit dem Hinweis der Arbeitgeber erlaube es nicht. Ich wies ihn gleich auf die zu erwartenden Kommentare in den Medien hin, dass die Swiss Airline nach dem Grounding nur dank Politik und Hilfe der öffentlichen Hand zum Fliegen kam und weiterhin politische Unterstützung braucht im Aviatik unfreundlicher werdenden Umfeld. Die Einladung zum CEO für ein klärendes Gespräch kam postwendend. Nach dem Verstehen des ihm offensichtlich unbekannten Schweizer Politsystem war seine erste von vielen Fragen wie viel geplante Polittage ich benötige. Sechzig Tage für Sitzungen und Repräsentationen im Präsidialjahr, war meine kecke Antwort. Er liess ohne mit der Wimper zu zucken dem Chefpilot die Weisung zukommen, ich könne meinen Flugplan künftig um die politischen Termine herum festlegen. Franz ging noch weiter und bildete auf meine Anregung hin eine ständige politische Gruppe, persönlich geführt vom Verwaltungsratspräsident und CEO, mit Swiss Mitarbeitern die ein politisches Amt in Flugplatznähe inne hatten. Mit Nationalrat Thomas Hurter, Monika Widmer-Bolli, Flight Attendant und Gemeindepräsidentin von Boppelsen, und Albert Berbier, Gemeindepräsident Embrach, waren wir vier teils ehemalige Schaffhauser im spannenden Gremium.
Richtige Schwerpunkte setzen
Während die Politik weitsichtige und richtige Schwerpunkte setzen sollte ist der korrekte Schwerpunkt im Flugzeug überlebenswichtig. Bereits in der Segelflugschulung wurden wir mit der Schwerpunkt Problematik konfrontiert. Leichtgewichtige Schüler, insbesondere zierliche Flugschülerinnen, setzten sich auf ein Bleikissen. Damit wurde der Schwerpunkt nach vorne verschoben in den erlaubten Bereich. Als eiserner Grundsatz bei Passagierflügen im mehrplätzigen Leichtflugzeugen gilt, schwere Personen müssen vorne sitzen. Einem Kind oder einer netten Dame einen Gefallen zu tun und sie neben den Piloten zu setzen mit besserer Aussensicht und nahe zu Instrumenten und Steuerknüppel und den schweren Vater oder Ehemann in die hintere Reihe platzieren endete leider zu oft in tödlichen Unfällen. Es ist deshalb nicht unhöflich wenn man die Passagiere nach ihrem Gewicht fragt, denn vor jedem Start macht der Pilot eine Schwerpunkt Berechnung. Ist er zu weit hinten ist das Flugzeug in bestimmten Geschwindigkeitsbereichen nicht mehr steuerbar und kann abstürzen. Beim Linienflugzeug wird diese Berechnung ebenfalls vor jedem Start gemacht. Fracht und Gepäck werden gewogen während für die Passagiere ein Standard Gewicht von 85 Kilogramm mit Handgepäck angenommen wird. Für Japanflüge gilt ein reduziertes Gewicht und für spezielle Flüge mit vielen Seeleuten oder Bergwerk- und Ölplattformarbeiter an Bord wird allenfalls ein höheres Gewicht eingesetzt. Auch für Grossraumflugzeuge gilt, wenn der Schwerpunkt nahe oder hinter dem aerodynamischen Auftriebschwerpunkt liegt wird das Flugzeug instabil und ist von Hand und mit der aktuellen Generation Autopilot nicht mehr steuerbar. Beim Linienflugzeug kommt die Wirtschaftlichkeit dazu. Wenn der Schwerpunkt weit vorne liegt braucht es ständige Korrekturen mit dem Höhensteuer. Der Ausschlag führt zu mehr Widerstand und Mehrverbrauch an Kerosin. Deshalb wird der Schwerpunkt optimiert mit exakter vorausschauender Beladung. In der Luft haben moderne Flugzeuge zudem die Möglichkeit Kerosin in die Höhenflosse im Schwanz (siehe Bild) zu pumpen um den Schwerpunkt nach hinten zu verschieben. Im Airbus A330 und 340 sind es 4890 Kilogramm. Der Rechner optimiert dabei ständig mit der Menge verbranntem Treibstoff und dem aktuell gemessenen Anstellwinkel und pumpt Treibstoff nach hinten oder vorne. Wenn die Flügeltanks sich leeren oder aus Sicherheitsgründen für die Landung muss alles nach vorne in die Flügeltanks gepumpt werden. In Shanghai hatten wir bereits die Startbewilligung und wollten die Gashebel nach vorne schieben als uns der Tower aufforderte den Start abzubrechen, unsere Abfertigungsfirma würde eine Nachricht senden. Tatsächlich kam ein Telex herein, das Gewicht sei um sechs Tonnen falsch und nachfolgend ein korrigiertes Ladeblatt mit den korrekten Eingabedaten in den Flugcomputer für den Start. Wir wären deswegen nicht abgestürzt aber der Start wäre mühsam geworden da die eingegebenen Geschwindigkeiten und die Höhenflosseneinstellung nicht stimmten. Wir hätten ungewohnt stark ziehen müssen zum Abheben da die beiden vergessenen Container vorne geladen waren und damit die Trimmung, also die Höhenflossenvoreinstellung, falsch eingestellt war. Einmal in der Luft findet es das Flugzeug beziehungsweise der Flugrechner rasch heraus und korrigiert die falsche Einstellung der Steuerfläche sobald Anstellwinkel und Geschwindigkeiten gemessen werden können. Aber am Boden ist man auf die korrekten Angaben und Berechnungen der Lademeister angewiesen.
Konstruktion, Kabineneinbau und Tanks definieren Schwerpunktlage
Die Fokker 100 war heikel mit der Beladung weshalb wir oft Eco Passagiere erfreutet und nach vorne in die erste Klasse setzten um den Schwerpunkt nach vorne in den stabilen Flugbereich zu bringen. Wenn ein paar Passagiere von ganz hinten nach ganz vorne marschieren merkt man das tatsächlich mit kleinen notwendigen Steuerkorrekturen. Kürzlich war zu erfahren, dass der Airbus A330 von Swiss im Rahmen der Erneuerung der ersten Klasse mit Sitzen mit noch mehr Komfort und Unterhaltung schwanzlastig wird. Um das zu korrigieren sollen im Schwanz Bleiplatten eingebaut werden um den Schwerpunkt im normalen Bereich zu halten. Es ist ziemlich schräg in der heutigen Zeit damit auf jedem Flug einen Mehrverbrauch an Kerosin in Kauf zu nehmen. Wahrlich kein Meisterstück von Engineering und Voraussicht.