Tokyo - Peking via Schaffhausen

Geschrieben von Markus Müller
Windkraft Peking

Nach jahrelanger Vermeidung von Japan stand im März Einsatzplan Tokyo. Neben der ewig langen Flugzeit lässt einem die Zeitverschiebung mit gestörtem Tag-Nachtrythmus Leiden. Dazu kommt die schwierige Kommunikation mit der eher ablehnend scheinenden Bevölkerung im sonst durchaus faszinierenden Inselstaat. Neben fehlenden Sprachkenntnissen oder der traditionellen Tendenz zur Abschottung ist es die unserer westlichen Offensivgesellschaft fremd gewordene Angst Fehler zu machen.

Nach den winterlich erstarrten Weiten Sibiriens tauchte am Horizont das aeronautische Wahrzeichen der Insel, der Fuji mit seinen fast viertausend Metern Höhe auf. Links am Horizont markierte Rauch Fukushima. Nicht etwa eine atomare Mahn-Wolke, sondern die darum herum angesiedelte Schwerindustrie. Dank einer Nichte, aufgewachsen in Stein am Rhein und mit einem holländischen Diplomaten in Tokyo verheiratet, wurde es ein erfreulicher Aufenthalt der einige Vorurteile abzubauen vermochte. Aber die Verständigung blieb ein Problem. Dass ich den falschen Zug bestiegen hatte, konnte mir die Schaffnerin weder bestätigen noch  Auskunft geben wohin die Reise ging. Sie nickte und lächelte zwar fortwährend und bot mir nach jeder Haltesstelle aus ihrer Bauchschublade Getränke an und lächelte auf meine Fragen stumm nickend weiter. Der Schaden hielt sich mit einiger Verspätung und einer besorgten Nichte, die später darauf bestand mich persönlich in den Schnellzug zurück nach Narita zu setzen, in Grenzen. Ihre Fürsorge war berechtigt bei dreimaligem Umsteigen der U-Bahn. Unvorstellbar wie jeweils tausende Passagiere aufgerufen werden den Untergrund sofort zu verlassen wenn sich Erdbeben ankünden. Und sage und schreibe wurden wir während nur zwei Tagen Tokyo fünf Mal kräftig durchgeschüttelt. Fünfmal kündigte ein Ächzen in der Decke das nachfolgende Klappern der Kleiderbügel im Schrank an und dieses nervige Geräusch wiederum bereitete auf ein länger anhaltendes schütteln vor. Kein gutes Gefühl in oberen Stockwerken und im wissen, dass es noch ein paar marode Atomkraftwerke auf der Insel gibt. Dass auch hiesige Atommeiler zu knacken sind mit oder ohne Erdbeben, dass sie ungenügend geschützt sind und dass man sich jahrelang schöngeredet hat die aus der Kriegstechnik entwickelte Kettenreaktion zu beherrschen ist den Verantwortungsträgern offenbar erst kürzlich klar geworden. Auch die Schaffhauser Regierung hat mutig den Atomausstieg proklamiert und weltweit Aufsehen erregt, um dann auf Hinweis festzustellen, dass der Kanton ja gar kein Atomkraftwerk betreibt um aussteigen zu können und der Stromfluss an der Kantonsgrenze nicht einfach sortiert werden kann nach Herkunft. Beim alternativen Ansatz Förderung erneuerbarer Energie hat der eigene Mut die Regierung rasch verlassen und Planung von Grossbauten und Bahngeschenke wurden als Publikums (Wahlkampf) wirksamer befunden. Auch im Regierungsgebäude kommt halt der Strom aus der Steckdose. Dass es ohne grosses Palaver geht beweist einmal mehr China das zum weltweit grössten Produzenten von Windstrom geworden ist mit enormer Wachstumsrate. Dass geklotzt und nicht allen recht gemacht gekleckert wird, ist nach dem Start in Peking deutlich sichtbar. Der erhaltene Teil der imposanten chinesischen Mauer wird abgelöst durch riesige Windgeneratorparks in der unwirtlichen Wüsten ähnlichen bergigen Gegend. China ist das Land das sich wohl am schnellsten, nachhaltigsten und unübersehbar verändert. Es ist auf den Hochgeschwindigkeitszug den Hongkong und der chinesische Vorreiter Shanghai angeschoben haben aufgesprungen und hat gleich noch zwei Lokomotiven vorgespannt. Die Entwicklung von Peking in zehnjahres Schritten betrachtet ist eindrücklich. Vor dreissig Jahren mussten wir mit der DC10 jeweils aufpassen, dass die Piste nicht gerade von Pferde gezogenen Leiterwagen überquert wurde. Auf den Autobahn ähnlichen Velowegen ereigneten sich Massenkarambolagen weil wir, ebenfalls auf dem Velo, mit unseren blonden Flight Attendants soviel Aufsehen erregten. Die Einheitskleidung vom Arbeiter über Wissenschafter bis zum Chef des Staatsbetriebs war einheitlich, bei uns als Überkleid bezeichnet mit blauer oder grüner Kappe mit dem roten Stern. Vor zwanzig Jahren war dann die Startpiste bereits unserer MD11 vorbehalten, Velos und Autos hielten sich das Gleichgewicht und Ausländer durften nicht mehr nur im staatlichen Friendshipstore einkaufen. McDonald und Coca Cola waren präsent. Vor zehn Jahren waren nur noch landflüchtige Mongolen im Überkleid zu sehen, die Stadtbevölkerung gab sich züchtig westlich und scheu neugierig. Boeing und Airbus prägten langsam das Bild auf dem Flugplatz. Wolkenkratzer schossen aus dem Boden und die amerikanischen Verpflegungsketten machten sich breit. Seit einem Monat landet die A340 von Swiss in Peking. Kein russisches oder chinesisches Flugzeugmuster ist mehr zu sehen. Der Geschäftsteil Pekings sieht aus wie New York oder Hongkong, Velofahren ist zum Risiko geworden zumal man mit akuter CO2 Vergiftung rechnen muss. Der Minirock scheint neu erfunden zu sein. Läden und Restaurants sind identisch zum Rest der Welt. Zum Glück findet man dazwischen immer noch das alte China, wie es lebt und nicht von Heimatschützern konserviert. Und im Gegensatz zu Japan nutzen die Chinesen, wohl eines ihrer Erfolgsrezepte, ihre rasch zunehmenden Englischkenntnisse und zeigen uns offensiv und geschäftstüchtig ihre neue und alte Welt. Niemand kommt an China vorbei und die Schweizer KMU Chefs wollen sich offenbar ein Bild vor Ort machen. Gleichzeitig mit der Lancierung der Kampagne "Ja zur Schweiz - Hier Kauf ich ein", hat der Schweizerische Gewerbeverband die Reise mit einer chinesischen Fluggesellschaft ausgeschrieben. Hoppla. Die Antwort des Direktors auf die Frage warum nicht Swiss Made berücksichtigen war natürlich überzeugend. Der Abflug in Peking mit Swiss sei zu früh, die Schweizer Gewerbeleute möchten nicht schon um drei Uhr aufstehen. Falls die Rahmenbedingungen ändern würden, sprich ausgeschlafen werden könne, käme bei einer nächsten Reise ein Flug mit Wertschöpfung in der Schweiz in Frage. So gewinnt man aus meiner dreissigjährigen China Erfahrung keine Handelsanteile gegen den Wirtschaftsriesen und man kann es dem Konsumenten nicht verübeln, wenn er diese Haltung übernimmt und erst dann wieder in der Schweiz einkauft wenn der Franken wieder tief ist. Wasser predigen und Wein trinken. Aber bitte Schaffhauser Wein.

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