Unendlicher Winter

Geschrieben von Markus Müller
Lademannschaft standby

Einen unschätzbaren Vorteil hat das fliegende Personal. Kurz nach Arbeitsbeginn sehen die Piloten als erste die Sonne und können dem Rekordlangen Winter, mindestens für die Dauer des Fluges, wenn eine südliche Destination angeflogen wird sogar für ein paar Tage, entfliehen. Dieses Jahr ist es besonders wertvoll bei einem nicht endenden wollenden Winter. Winteroperation ist aber auch eine grosse Herausforderung und für die Fluggesellschaften mit grossen finanziellen Belastungen verbunden in einem Geschäft wo die Margen eh klein sind.

Zu Annulationen und Verspätungen kommt der Mehrverbrauch an Kerosine und teure Enteisung des Flugzeuges. Massiv längere Roll- und Wartezeiten am Boden und in der Luft brauchen zusätzlich Brennstoff. Nur schon die Ungewissheit, dass wir mehr brauchen könnten, veranlasst zusätzliche Reserven zu tanken. Läuft es dann trotzdem rund, müssen die  zusätzlich getankte Menge während dem ganzen Flug mittransportiert werden, was bei einem zwölfstündigen Flug allein einen Drittel davon verbrennen lässt. Der Enteisungsprozess eines Grossraumflugzeuges dauert trotz Einsatz von jeweils zwei leistungsfähigen Enteiser Fahrzeugen mindestens zwanzig Minuten, was bei laufenden Triebwerken nochmals ein paar Hundert Kilo Sprit kostet. Ein markanter Mehrverbrauch wird weiter durch das notwendige Einschalten der Triebwerkenteisung und der Flügelenteisung für das Durchfliegen der nassen Luft um den Gefrierpunkt verursacht. Diese durch die abgezweigte heisse Hochdrucktriebwerkluft fehlende "Triebwerksleistung" muss durch mehr Gas geben und damit einem deutlich höheren Brennstoffdurchfluss kompensiert werden damit wir das Flugzeug überhaupt in die Luft und in die grossen Höhen bringen. Erst dort ist die Luft ab etwa Minus vierzig Grad auch innerhalb der Wolken so trocken, dass kein Eis mehr ansetzen kann. Nichtbefolgen dieser aviatischen Grundregeln hätte fatale Folgen indem das Flügelprofil sich ändern würde und der Auftrieb nicht mehr gewährleistet wäre, die Gewichtszunahme über die riesige Flügelfläche rasch Tonnen ausmachen würde und wegfliegende Eisstücke Triebwerke und Steuerelemente beschädigen könnten. Noch selten habe ich das Flugzeug so oft enteisen lassen müssen wie diesen Winter. Dabei wird das Flugzeug zuerst mit heissem Wasser von Schnee und Eis befreit und anschliessend mit einer gelbbraunen Brühe abgeduscht die eine vom Hersteller garantierte und vom aktuellen Niederschlag abhängige Zeitspanne schützen muss. Die Flüssigkeiten sind biologisch vollständig abbaubar und werden dazu unterirdisch aufgefangen. Den ganzen Sommer über sieht man dann im Flugplatzareal Kloten ihre Verteilung mittels Rasensprenger in den für den Abbau vorgesehenen Schilffeldern. Übrigens, bei Eisnebel oder Eisregen darf nicht gestartet werden wegen unkontrollierbarer Vereisung der Tragflächen. Sind wir einmal in der Luft, haben wir Langstreckler Ruhe und Aussicht auf eine schöne Destination. Leid tun mir die Kollegen der Kurzstrecke die das viermal am Tag durchspielen müssen und am Schluss noch Landungen in oft misslichen Verhältnissen mit Schneegestöber und turbulentem Seitenwind hinzaubern müssen. Man sieht den Unterschied dann an den verschiedenen Brauntönen zwischen Banknachbar Thomas Hurter und mir im Kantonsrat.

Winter nicht gleich Winter

Das System scheint irgendwie verrückt zu spielen. Die Flugzeit vor Ostern nach New York war über eine Stunde kürzer als nach Flugplan vorgesehen. Die um diese Jahreszeit typische Westwindsituation mit den markanten Jetstreams fehlte diesen Winter oft auf dem Nordatlantik. Wir hatten sogar völlig ungewöhnlich Rückenwind auf dem Flug westwärts. Das liess eine massiv längere Flugzeit zurück befürchten mit tatsächlich nur lausigen sechzig durchschnittlichen Stundenkilometer Rückenwindkomponente, während sonst Spitzen bis vierhundert den Flug beschleunigen. Für die Passagiere nicht immer angenehm da die kurze Flugzeit mit starken Turbulenzen verdient werden muss. Gerade in Nordamerika können die Schneemassen deutlich grösser sein als bei uns und verlangen einen anderen Umgang damit. Ich beobachtete kürzlich fasziniert die Schneeräumung in Boston. Mit Schaufelbaggern wurden die Schneehaufen in der Innenstadt auf riesige Trucks mit Heiztanks geladen und mit Getöse geschmolzen. Das dampfende Wasser wurde in einem mannsdicken Strahl auf die Strasse gespritzt wo es unter weiterem schmelzen der Restmengen von Eis und Schnee in die Kanalisation abfloss. Im ersten Moment ist man verleitet zu sagen, ja die Amerikaner ohne Sorge für Energie. Aber eigentlich ist es clever da schlicht der Platz fehlt für diese Schneemengen. Und ob abtransportieren Energie effizienter wäre ist zudem zu bezweifeln. Zum Glück konnte ich die Unbill des Winters über Ostern in Miami mit sommerlichen Verhältnissen kompensieren. Die beiden Ramp Arbeiter auf dem Bild haben dieses Privileg das ganze Jahr. Es zeigt auch das amerikanische strikte Gewerkschaftsregime. Die beiden dürfen nur gerade die Radschuhe an unsere Räder legen und wieder entfernen und haben damit viel Totzeit.

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