Distanzen werden grösser

Geschrieben von Markus Müller
Chicago aus dem Cockpit

Flugverkehr hat mit Distanzen zu tun, mit Überwindung von Distanzen. Ein enormer Fortschritt der Technik hat es möglich gemacht, dass in Nonstop Flügen alle Kontinente miteinander verbunden werden können mit immer grösserem Komfort für die Passagiere. Mit Grenzen wenn das Verhältnis benötigter Triebstoff und mögliche Zuladung nicht mehr sinnvoll ist.

Für Besatzungen hat das auch Nachteile. Es resultieren durch die täglichen Nonstop Verbindungen kürzere Aufenthalte, grössere Zeitverschiebungen mit Jetlag und kleineren Erholungszeiten. Als einer der diese aviatische Entwicklung hautnah miterleben durfte, muss ich hie und da den Kopf schütteln ob dem Unverständnis von Passagieren wenn ein Flug nicht stattfinden kann, eine Verspätung resultiert oder eine Zwischen- oder Ausweichlandung unabwendbar ist. Ich erlaube mir dann den Hinweis, ob ihnen bewusst sei, dass eine Reise nach Sao Paulo früher Wochen gedauert hat und es doch bei heute zwölf Stunden auf eine Viertelstunde nicht ankommen könne. Den auf der Zunge brennenden Hinweis auf Flugsicherheit, dass man es immer noch mit Naturgewalten zu tun habe und das Flugzeug nicht einfach auf dem Pannenstreifen anhalten könne, lasse ich meistens sein. Durch die zunehmend dichte Belegung des Luftraums kann sich die Flugzeit wieder verlängern. So hat uns vor drei Wochen der chinesische Fluglotse kurz vor der Stadt Kunming angewiesen einen Vollkreis zu fliegen wegen starkem Verkehr in Hongkong. Da reicht unser Kantonsgebiet nicht um den Orbit bei dieser Geschwindigkeit zu fliegen. Bei guter Sicht konnten wir immerhin die Partnerstadt von Zürich, die einmal einem Stadtpräsidenten zum Karrieren Ende wurde, von oben ansehen. Es ging weiter im Zickzack, zwecks weiterer Verzögerung. Unser Angebot, wir könnten die Geschwindigkeit reduzieren wollte er partout nicht annehmen. Es entsprach entweder nicht seiner Strategie oder er hat uns einfach nicht verstanden. Im Anflug auf Hongkong wurden wir dann wieder zum beschleunigen aufgefordert und mussten mit allen fliegerischen Tricks die sonst zelebrierte Aerodynamik stören und dicht zwischen zwei A380 unsere Höhe vernichten da der aktuelle Flugweg markant kürzer war als der von uns wegen den vorgehenden Manövern angenommene. Die Absprache und Koordination unter den Flugverkehrszentren ist nicht unbedingt besser geworden. Ausser in den USA wo schon lange über Tausende von Kilometer hinweg Verkehrskoordination stattfindet. In Europa verteilt Brüssel in einer übergeordneten Koordinationsfunktion sogenannte Startslots um eben Verzögerungen in der Luft zu vermeiden. Und sie geben sich Mühe. So drohte uns in Tel Aviv mit einem solchen Slot eine Verspätung von zwei Stunden. Aber Brüssel gab alles und tatsächlich erhielten wir einen neuen Flugplan ohne Wartezeit. Fast gleichzeitig fuhr ein Fahrzeug der Flugplatzaufsicht vor, ich müsse mitkommen auf den Tower. In Vorahnung von Problemen schnappte ich mir trotz Hitze Jacke und Hut da Kleider bekanntlich Leute machen. Funktioniert in Afrika, Südamerika und Deutschland mindestens. Auf dem Tower wurde ich regelrecht herunter gekanzelt. Wir hätten ungeheuerlich und strikt verboten einen Flugplan mit Ausflug über den Libanon eingereicht. Das klärte die verschwundene Verspätung denn unser Mann in Brüssel war wohl der einzige mit dieser glorreichen Idee. Erst ein lautstarkes Telefon nach Zürich den Flugplan sofort zurückzuziehen vermochte  das Entsetzen des Tower Chefs zu mindern und liess uns nicht weiter als Staatsfeind dastehen. Gut bekam er die Bemerkung des Dispatchers nicht mit, er hätte sich noch gewundert weshalb die von Brüssel empfohlene Abflugroute rot erschienen sei.

Funklöcher werden kleiner

Weite Gebiete im Fernen Osten, Afrika sowie über dem Nord- und Südatlantik waren früher funktechnisch schlecht abgedeckt beziehungsweise der Funkverkehr nur mit HF (High Frequency) abgedeckt. Im Gegensatz zu VHF (Very High Frequency), wo sich der gut verständliche Funkverkehr über Festland in ständiger Hörbereitschaft Bodenstation - Flugzeug abwickelt, ist HF sehr schlecht verständlich und mit einem lauten Rauschen unterlegt. Dafür ist seine Reichweite fast beliebig im Gegensatz zu VHF das nur wenige hundert Kilometer weit reicht. So konnten wir in der Vorsatelitentelefonzeit von jedem Punkt der Welt aus via Funk BERNA, eine Dienstleistung der damaligen PTT in Bern, erreichen und eine Telefonverbindung verlangen. Es waren mühsame Gespräche aber oft auch lustig wenn etwa jemand eine Geburt an Bord zu melden versuchte und die ganze Welt mithören konnte. Oder mein Kapitän auf einem Bangkok Flug seiner Freundin im Nachbardorf erklären wollte er habe wahrscheinlich das Bügeleisen nicht ausgezogen. Heute geht es einfacher und diskreter via Satellit. Hingegen ist der Flugfunk stehen geblieben. Es kann immer noch sein, dass man beispielsweise Khartum nicht erreicht, aber Bombay oder Delhi ständig hört und den ganzen Sudan oder Burma ohne jeglichen Funkkontakt durchfliegt. Das ist auch eine Antwort auf die Frage aus aktuellem Anlass, wie ein Flugzeug längere Zeit unbemerkt sein kann. In Gebieten in Südostasien und Afrika sowie über Wasser, für uns  Nord- und Südatlantik arbeitet der Kontroller ohne Bodenradar, wo wir permanent mitsamt den wichtigsten Parametern wie Flughöhe, Geschwindigkeit und Flugrichtung sichtbar wären, und muss sich den Flugverkehr anhand von Positionsmeldungen an den hunderte Kilometer auseinander liegenden Checkpunkten vorstellen und koordinieren. Mit schwieriger Verständigung. Untereinander haben wir gute Verbindung. So haben wir uns letzte Nacht von Chicago zurück mit den Kollegen von Boston unterhalten die genau dreihundert Meter über uns flogen mit gleicher Geschwindigkeit. Wegen ändernden Windverhältnissen lagen einmal sie und dann wieder wir vorne. Durch die bessere (tiefer) Ausganslage für den Sinkflug Richtung Zürich haben wir das "Rennen" gewonnen.

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