Konzentration im Flug

Geschrieben von Markus Müller
Gewitterwolken auf 12'000 Meter

Unterwegs nach Singapore liessen über dem Bengalischen Golf rundherum Blitze und Wetterleuchten die Umrisse der weit über unsere Flughöhe heraus ragenden Wolken erkennen. Auf der Cockpit Scheibe faszinierte ein Feuerwerk mit wilden Miniblitzen. Das sogenannte Elmsfeuer sind statische Entladungen in der Nähe von Gewittern. Die Gewitterwolken, als Echo auf dem Radarschirm identifiziert, umfliegen wir grossräumig.

Hagel und starke Turbulenzen könnten das Flugzeug stark beschädigen. Früher starrte man nächtelang auf die schlecht erkennbaren grünen Flecken auf dem gleichfarbigen Radarschirm, interpretierte sie und entschied ob es sich um eine Stadt, einen See oder eben eine Wasser beziehungsweise Hagel geladenen Wolke handelt. Die Radar Technologie hat enorme Fortschritte gemacht. Auf dem Navigationsbildschirm werden die Echos mittlerweile grün, gelb und rot je nach Intensität beziehungsweise Wassergehalt der Wolke viel deutlicher und verlässlicher angezeigt. Immer noch braucht es grosse Erfahrung und hie und da fast einen siebten Sinn um frühzeitig kritische Veränderungen der Wetterlage vorauszusehen. Wenn alles rot ist, etwa im Anflug auf einen tropischen Flugplatz, muss wie früher durch manuelles steuern der Antenne ein Weg gesucht werden. Durch muss man irgendwie denn das Kerosin wird immer weniger. Wichtig ist die mentale Vorbereitung mit Erfahrung aus tausenden Flugstunden, guter Flugzeug Kenntnis und Verstehen der Aero- und Flugdynamik sowie der Wetterphänomene in der beflogenen Gegend. Fehlt das kann es in einer extremen Konstellation fatal werden wie kürzlich ein Absturz über dem Südatlantik leider vor Augen führte. Zurück in den bengalischen Golf. Natürlich schweifen in diesem Wetter in diesem Luftraum die Gedanken ab zur Crew der seit Wochen vermissten malaysischen Maschine. Eine Horrorvorstellung für jeden Piloten solange man nicht weiss was wirklich passiert ist. Und genau an dieser Stelle wo sich ein Teil dieses Dramas abgespielt haben könnte wurde ich allein im Cockpit, ein Copilot in der Schlafkoje der andere auf der Toilette, vom durchdringenden Klingenton der eine rote Warnung ankündete aufgeschreckt. Der hundertmal im Simulator geübte Drill ist immer gleich: Zuerst fliegen und navigieren, dann analysieren und die nötige Aktion einleiten. Rauch in der Toilette stand auf dem Bildschirm. Die Flight Attendants reagierten rasch und konnten Entwarnung durchgeben. Eine Kollegin hatte Erfrischungsspray versprüht und dabei den Rauchmelder getroffen. Früher wurde diese Warnung öfters ausgelöst durch notorische Raucher die es trotz Verbot versuchten. Mittlerweile ist aber bekannt, dass wir diese Verstösse nicht gerade zimperlich behandeln und als Gefährdung des Luftverkehrs ahnden. Im Anflug warteten die tropischen Gewitter schon auf uns. Zwischen hohen Wolkentürmen mussten wir uns mit dem turbulent bockenden Fluggerät zur Piste kämpfen. Die vier Motoren heulten auf und verstummten wieder um die Geschwindigkeit zu halten. Kein Vergnügen für die Kollegen im Schwanz wo die Steuerausschläge direkt zu spüren sind, keine Sicht mit Referenz nach draussen besteht und deshalb bei jedem Schub der hunderttausend PS einen Durchstart vermuten wird. Zudem die Aussicht nach der Landung die gefüllten (Fliegersprache) „Kotztüten“, einsammeln zu müssen. Nochmals war äusserste Konzentration gefragt nach zwölf Stunden Nachtflug. Anflug und Landung mussten sitzen, denn der Navigationsbildschirm zeigte nur noch rot ab Pistenende.


Herunter fahren nach dem Flug
Zum Glück sind rote Warnungen, gelbe sind kleine technische Probleme, sehr selten und das Wetter nicht immer so garstig. Solche Erlebnisse, das Wissen dass es sie geben kann und die Gewissheit dass man als Team optimal darauf vorbereitet ist schweisst die Crew zusammen. Das äussert sich oft nach der Arbeit, wenn man die Verantwortung los ist, herunter fährt und zusammen etwas unternimmt. Oft kommt dann die andere Seite der Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Berufen, Begabungen und Hobbies zum Vorschein. Wenn ich etwa an den Schaffhauser Kapitän aus dem gleichnamigen Pelzgeschäft der virtuos in die Tasten griff denke. Die Kabinenchefs, die im früheren Leben Profitänzer waren, die Tanzfläche im Hotel zur Showbühne machten oder ein mitfliegender Polizist die (bezahlte) Breakdance Gruppe zu Höchstleistungen mitriss. In Singapore betraten wir erwartungsvoll die „Actions Jam Bar“. Die Filipino Band war dann aber nicht so toll sodass meine beiden Copiloten kurzerhand anboten, Keyborder und Schlagzeuger abzulösen. Die beiden Musiker, die sich mit herablassendem Blick über die kurze Bierpause freuten, taten mir, voraussehend was kommen würde, fast  leid. Ihre Augen wurden immer grösser als das vorher teilnahmslose Publikum plötzlich  voll mitging. Der Keyborder von Mash, ewigi Liebi, kann halt nicht nur gut fliegen und der zweite beherrscht das Schlagzeug aus der Zeit wo er sich die Flugausbildung in den USA mit Musik verdiente.       

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