Wind und Sturm – geschätzt und gefürchtet

Geschrieben von Markus Müller

Wind und Sturm gehören zur Fliegerei. Erst die Luftströmung um den Flügel sorgt für den nötigen Auftrieb um das Flugzeug überhaupt zum Fliegen zu bringen. Dazu braucht es eine Vorwärtsbewegung. Ist diese zu langsam reisst die Strömung ab, der Auftrieb ist weg und das Luftfahrzeug stürzt ab. Die Geschwindigkeit braucht darum die ständige Aufmerksamkeit der Piloten.

Ausschlaggebend ist die Bewegung gegenüber der Luftmasse, wichtig um ans Ziel zu gelangen ist hingegen die Geschwindigkeit über Grund. Dazu werden die starken Westwinde im sogenannten Jetstream auf dem Nordatlantik ausgenützt um Flugzeit und Kerosin Verbrauch möglichst klein zu halten. Auf dem Hinflug weicht man dem Jet möglichst aus, auf dem Rückflug nützt man den Rückenwind aus. Das kann mehrere Stunden Flugzeit Unterschied ausmachen. Auf dem Flug nach Boston blies beispielsweise der auf dem Navigationsbildschirm im Bild angezeigte Wind aus 240 Grad mit 210 Knoten (390 km/h). Die Geschwindigkeit gegenüber der Luftmasse betrug übliche 471 Knoten (872 km/h) aber lediglich 305 Knoten (565 km/h) gegenüber dem Meer mit entsprechend langer Flugzeit. Zudem mussten wir mit unserer A340 fünfundzwanzig Grad aufkreuzen. Für den Rückflug brauchten wir zwei Stunden weniger. Im Sommer 94 kündigte uns der Dispatcher in den ins Hotel geschickten Flugunterlagen an, es sei seine bisher kürzeste geplante Flugzeit von Los Angeles nach Zürich. Tatsächlich flogen wir die Strecke dank der Rückenwinde mit zum Teil über vierhundert Stundenkilometer in rekordmässigen neuneinhalb Stunden obwohl wir die Geschwindigkeit reduzierten. Während die Passagiere entweder keinen Bissen behalten oder gar nicht bedient werden konnten wegen den heftigen Turbulenzen liessen wir uns im Cockpit aus der Küche verwöhnen. Starke Höhenwinde können Auswirkungen haben über die reine Flugzeit hinaus. An gewissen Tagen im Winter mussten wir auf DC-10 und MD-11 in Bangkok oder Hongkong bis zu vierzig Sitze frei halten da sonst wegen dem Gegenwind eine Zwischenlandung notwendig geworden wäre. Das war für die Passagieren die umgebucht oder auf den nächsten Tag vertröstet wurden schwer verständlich. Starke Winde können auch für Start und Landung zum Problem werden. Vom Flugzeughersteller sind klare Limiten vorgegeben welche je nach Anordnung des Pistensystems einschränkend sind. Dabei sind die Limiten für den Autopiloten viel kleiner als für die Piloten aus der Erkenntnis, dass Automaten eben doch dümmer sind als Menschen respektive nicht vorausschauen können. Automatische Landungen sind deshalb nur bei wenig Wind möglich was bei Nebellagen mit schlechter oder keiner Sicht der Fall ist. Sturm kann bedeuten am Boden bleiben oder einen Ausweichflugplatz anfliegen zu müssen. An einem solchen Sturmtag landeten wir in Genf. Wir waren heilfroh am Boden zu sein und freuten uns auf den Austausch mit Kollegen beim verdienten Bier im Crewhouse. Kaum sassen wir an der Bar, was im Swissair eigenen Hotel nur für Besatzungen ausnahmsweise in Uniform erlaubt war, wurde ich ans Telefon gerufen. Ein Kollege musste in Kloten wegen heftigen Turbulenzen dreimal durchstartet und wich nach Genf aus. Die Situation habe sich zwar etwas beruhigt aber er möchte nicht nach Zürich fliegen, das sei nicht glaubwürdig für seine Passagiere bat er mich den Flug zu übernehmen. Wenig erfreut liess ich mich wieder auf den Flugplatz fahren und nahm neben seinem Copiloten Platz. Tatsächlich schien Zürich landbar und der Sturm hatte sich etwas gelegt. Trotzdem sicherten wir uns grosszügig mit Treibstoff Reserven ab und verabschiedeten uns mit „auf mögliches Wiedersehen“. Wir machten dann halt ein paar etwas ruppige Kurven im Anflug auf Zürich und bauten ein paar handgemachte Turbulenzen ein damit die Passagiere nicht glaubten es sei zu einfach geworden für uns. 

 

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