Fliegen ist nicht nur fliegen - Notsituationen und Groundings

Geschrieben von Markus Müller

Sich in drei Dimensionen bewegen übt seit je eine riesige Faszination aus auf den Menschen. Zu Beginn der Luftfahrt war das Fliegerleben leider oft sehr kurz. Dank der technischen Entwicklung sind die Möglichkeiten  sich zwischen Himmel und Erde bewegen zu können enorm gestiegen. Vor allem auch die Sicherheit. Die Lebenserwartung von Piloten entspricht  mittlerweile dem Durchschnitt. Dementsprechend ist auch die Lebensarbeitszeit vergleichbar geworden mit erdgebundenen Jobs. Damit, sowie mit zunehmender Komplexität und Flugdistanz, ist das pure fliegerische Handwerk nicht mehr einziger Inhalt des Piloten Alltags.

Die Durchführung eines Linienflugs besteht aus dem Management eines komplizierten Vorgangs von der Planung über die Durchführung bis zur Nachbearbeitung inklusive Führung und Motivation der Mitarbeiter. Dazu kommt die Neugier auf Neues. Nicht nur was die Technikentwicklung  betrifft sondern ständig in wechselnder Team Zusammensetzung zu arbeiten, andere  Menschen kennen zu lernen und an fremden Kulturen zu schnuppern. Es heisst auch Lust auf interessante Landschaften, pulsierende Städte und auf Begegnungen zu haben. Es braucht dazu die Bereitschaft grosse Zeitverschiebungen, abrupte und extreme Klimaänderungen und unendlich lange Nachtflüge wegstecken zu können. Diese ganze Palette ist im Moment stark reduziert oder sogar zum Erliegen gekommen. Es wird kaum geflogen. Es kommt zum Trainingsrückstand bis zum temporären Lizenz Verlust. Wenn dann doch ein rar gewordener Flug zugeteilt wird, ist die Freiheit ausserhalb des Flugzeugs stark eingeschränkt. Teilweise wird mit Doppelcrew geflogen und das Flugzeug an der Destination nicht verlassen sondern abwechslungsweise an Bord geschlafen. Oder es besteht Ausgangsverbot. Ein Kollege, der Fracht Jumbos für TNT fliegt, hat mir seinen letzten Shanghai Flug geschildert. Sie hätten zwei Nächte in der chinesischen Metropole verbracht aber das Hotelzimmer nie verlassen dürfen. Vor der Zimmertür sei eine Wache gesessen. Das erinnert mich ans Intourist Hotel in Moskau wo zu Sowjet Zeiten auf jedem Stockwerk eine wachhabende Person sass. Die jetzige Situation ist nicht vergleichbar mit dem Swissair Grounding. Initial war es damals ebenfalls ein Schock wie das aktuelle faktische Flugverbot. Aber nachdem in Rekordtempo Geld gesprochen wurde, ging es sofort weiter und vorwärts. Dass die Verwalter dieser Gelder wenig vom Geschäft verstanden und die „neue“ Airline fast wieder zur Bruchlandung brachten ärgert mich übrigens mehr als das Grounding. Ich höre immer noch die Sprüche einer damaligen Basler Nationalrätin: „Herr XY wird es schon richten“.  Hat und konnte er eben nicht, wie wir alle wussten und erst die Lufthansa hat der Swiss wieder Luft unter die Flügel gebracht. Rückblickend kann man schmunzelnd über das eigene Verhalten. Es hat mich damals an meiner ersten und  letzten Massendemonstration teilnehmen lassen vor den Sitz einer Grossbank in Opfikon. In Dubai habe ich mir im Quartier mit lauter blendenden Schmuckläden eine goldene Arm Kette gekauft als materielle  Erinnerung an den akut drohenden Letztflug. Dabei habe ich noch nie eine Kette getragen und sie lässt seither die Goldpreis Schwankungen in einer Schublade über sich ergehen. Für Flugpersonal, das bei geschlossener Flugzeugtür selber entscheiden muss und in jeder Situation massgeblich Einfluss nehmen kann, ist es schwierig solchen Ereignissen machtlos gegenüber zu stehen. Für schwierige bis lebensbedrohliche Situationen im Flug hat sich bei Swiss Piloten der Gebrauch einer Eselsleiter durchgesetzt. Die englischen Ausdrücke in SPORDEC für Situationserfassung, Sofortmassnahmen, Möglichkeiten, Entscheidung, Ausführung und Kontrolle haben sich in unzähligen  Simulator Übungen und Notsituationen über den Wolken als koordinierte Teamarbeit bewährt. Geholfen hat auch das von NASA entwickelte CRM (Crew Ressource Management) zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Kapitän und Copilot. Diese Ausbildung zur  Erhöhung der Flugsicherheit wird heute von allen Airlines angewendet beziehungsweise gesetzlich vorgeschrieben. Als junge Copiloten erlebten wir noch altgediente Kapitäne mit eigenwilligen autoritären Entscheiden. Dass einer auf die Frage warum er zehn Tonnen mehr Kerosin tanke antwortete weil morgen Weihnachten sei, kostete nur Geld. Diskussionslos und ohne Checkliste ein Triebwerk abzustellen weil er einen Defekt vermutete tangiert hingegen die Flugsicherheit. Mit zunehmender Komplexität der Flugzeuge und dank CRM gehört das der Vergangenheit an. Mittlerweile unterrichten Piloten Ärzte an Spitälern in CRM.  Es ist zu hoffen, dass die Verantwortungsträger über Entscheidungshilfen und CRM Kenntnisse verfügten und diese auch anwendeten in der Corona Situation.  

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