An Bewährtem hängen

Geschrieben von Markus Müller

Wenn man meint, die Verkehrsfliegerei sei besonders aufgeschlossen gegenüber Neuem, stimmt das nur bedingt. Man hält gerne an Bewährtem fest. Das hat mit dem stark ausgeprägten Sicherheits­denken zu tun, mit den komplizierten und teuren Zertifikations- und Zulas­sungsprozessen für neues Flugmaterial, Komponenten und Modifikationen sowie mit der Persönlichkeit der Pilo­ten.

Computer sind meist Generationen älter als unser Smartphone. Kommuni­ziert wird immer noch über knackenden und rauschenden Sprechfunk, während die Passagiere telefonieren. Der Ersatz des Flight Engineers durch Computer, Landen bei Null-Sicht mit dem Autopi­loten oder die Einführung neuer Warn­systeme wurden jeweils sehr skeptisch aufgenommen, wenn nicht sogar anfänglich abgelehnt von Piloten. Mit der Einführung des Ground Proximity Warning System konnte die häufigste Flugunfallursache, die Kollision mit dem Gelände, drastisch reduziert wer­den. Es bedingt aber sofortiges Reagie­ren ohne zu hinterfragen: mit voller Kraft ziehen am Steuerhorn oder Side­stick und Vollgas geben, wenn die künstliche Stimme «pull up – hochzie­hen» ruft. Viele Piloten taten sich anfänglich damit schwer und glaubten, die eigene Position und die Hindernisse besser zu kennen gemäss ihrer Karte. Sofortige Reaktion verlangt auch das Antikollision-Warngerät TCAS. Eine richtige Reaktion hätte den fatalen Zusammenstoss über Überlingen ver­hindert. Ein grosser Versicherer liess sich bei beginnender Digitalisierung der Flugzeuge sogar zur Kritik hinreissen, dass sich eine praxisnahe Auslegung der Cockpits am Durchschnittspiloten und nicht an den beratenden Techni­schen Piloten der Airlines orientieren sollte, die oft eigentliche «Technik- Freaks» seien.

Zum Problem geworden sind allerdings eher Ingenieure mit Software-Updates, welche das Flugverhalten beeinflussen und vom Piloten nicht verstanden wer­den. Akzeptanz und reflexartiger richti­ger Umgang wird ständig im Simulator geübt. Speziell ist es in den USA, wo Gewerkschaften mitreden. Ich hielt einen Vortrag bei American Airlines darüber, wie wir moderne Systeme nut­zen. So berechnen wir vor jedem Start die nötige Triebwerksleistung nach Gewicht, Umweltfaktoren und Platzhöhe und reduzieren die Triebwerk-Startleis­tung so weit wie möglich. Das spart Kero­sin und Unterhaltskosten, reduziert den Lärm und gibt zusätzliche Sicherheits­margen. Die US-Kollegen fanden das zwar interessant, alle ihre Flugzeuge wa­ren ebenfalls dafür vorgesehen und aus­gerüstet, aber es sei ihnen von der Ge­werkschaft verboten worden. Die Firma hätte dafür den Lohn erhöhen müssen.

Auch an weniger relevanten, gewohnten Dingen wird gerne festgehalten. Unter anderem hat es in jedem Cockpit eine Axt, ein Megafon und mehrere Taschen­lampen. Tausendmal hat mein Kapitän im Briefing vor jedem Start erwähnt, dass im Falle einer Evakuation jeder seine schwarz-gelbe Taschenlampe aus der Halterung mitnehmen soll. Tau­sendmal habe ich dann als Kapitän im Briefing vor jedem Start erwähnt, dass dieselbe immer noch schwarz-gelbe Taschenlampe mitgenommen werden soll bei einer allfälligen Evakuation. Unzählige Male unterstützte sie uns im Simulator mehr schlecht als recht, den simulierten Rauch zu durchdringen, um die Instrumente ablesen zu können. Seit mittlerweile wohl einem halben Jahrhundert hat es immer noch diesel­ben schwarz-gelben Taschenlampen mit auswechselbaren Batterien in jedem Swiss- (früher Swissair-) Cockpit, an jeder Flight-Attendant-Station und in jeder Schlafkoje. Der Lichtkegel ist dürf­tig gegenüber modernen Lampen, aber vom amerikanischen FAA zertifiziert und zugelassen für den Gebrauch in Luftfahrzeugen.

Ein solch schwarz-gelber originaler Leuchtkörper steht übrigens auf mei­nem Schreibtisch für den Notfall – oder wohl eher aus Nostalgie. Die Lampe hat mir allerdings fast Probleme mit der Sicherheitsbehörde in Amsterdam ein­gebracht. Wir lieferten eine DC-10 an Martinair ab. Handbücher, Schwimm­westen und eben die Taschenlampen packten wir wie üblich in unseren Crew Bag, da sie nicht Bestandteil des Ver­kaufs waren. Beim Sicherheitscheck zu erklären, dass wir sie weder entwendet noch ihr Fehlen ein Sicherheitsrisiko auf einem Flugzeug darstellen würde, war nicht ganz einfach.

Neue Flugzeuge werden vom Käufer im Vorfeld spezifiziert: welche Motoren, welche Instrumente, welche Küchenein­richtung oder welche Sitze. Früher wur­den zur Cockpit-Einrichtung unzählige Wünsche angebracht. Der Halter für zwei Kugelschreiber war für Kapitän und Co-Pilot immer aus braunem Leder. Als wir die erste MD-11 aus Long Beach holten mit den standardmässig einge­bauten Kugelschreiber-Haltern aus Drahtgeflecht ging ein Entrüstungs­sturm durch das betroffene Piloten­korps, und sogar die Gewerkschaft wurde eingeschaltet. Es blieb bei der Billigversion. Hingegen wurde dem Wunsch, die Cockpitsitze wieder mit Schaffell zu überziehen nachgegeben. Allerdings nur bis zur ersten Sparwelle. Dann wurden neue Flugzeuge und Ersatzsitze mit dem werkseitig vorgese­henen Stoffüberzug geliefert. Tatsäch­lich sind aber zwölf Stunden sitzend auf Schaffell weit angenehmer, was Tempe­raturausgleich und Hautverträglichkeit anbelangt.

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