Reset, Circuit Breaker und Demonstrationen

Geschrieben von Markus Müller

Zunehmend verwenden Politiker englische Fachausdrücke. Ob die Bedeutung immer verstanden wird oder Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit ist, bleibe dahin gestellt. Wahlkriterium eines Bundesrats war, er werde den Reset Knopf drücken um das Verhältnis der Schweiz zur EU zu klären. Tatsächlich ist der Reset Knopf oder das stromlos machen eines Computers eine Möglichkeit hängen gebliebene Systeme wieder funktionsfähig zu machen. Im Flugzeug ist es anspruchsvoll, sind doch verschiedene Systeme wenig transparent miteinander vernetzt.

In Istanbul funktionierte einmal das notwendige Flugführungssystem nicht. Wir versuchten erfolglos ganze Computer Gruppen zu resetten und es drohte die Annullation des Flugs. Die Ungeduld der Passagiere nahm zu und sie bestürmten die Kabinencrew wegen Anschlussflügen in Zürich. Als letzter Versuch schlug der Stationsmechaniker vor, das ganze Flugzeug stromlos zu machen. Also den Tower informieren dass wir nicht über Funk erreichbar sein werden, Cabin Crew briefen, Passagiere vorbereiten dass es finster wird und das Megafon bereit halten für den Notfall. Mindestens drei Minuten stromlos warten empfahl der Mechaniker. Die Ruhe kam uns wie eine Ewigkeit vor. Erwartungsvoll schalteten wir die Batterien zu und starteten das  Hilfstriebwerk. Dann ging der ganze Christbaum los. Dutzende Kontrolllampen blinkten, Warntöne wechselten sich ab, Synthetische Stimmen und Vibrieren der Sidesticks begleiteten das Aufstarten der Systeme und die ablaufenden Tests. Ja nichts drücken und einfach warten, lautete die Devise. Als es endlich ruhig wurde und alle Kontrolllampen gemäss der Airbus "dark Cockpit - dunkles Cockpit" Philosophie aus waren, tippten wir gespannt das Bedienpanel an. Es funktionierte – typisch Airbus – und die Passagiere applaudierten. Ob das mit Europa funktioniert ist fraglich aber die Wahl ist ja vorbei. Um den zweiten Lockdown (Ausgangssperre) zu vermeiden sprechen Task Force und Politik von Circuit Breaker (Sicherung) ziehen. Gemeint ist, analog der Unterbrechung eines Stromkreises durch ziehen der Sicherung, gesellschaftliche Aktivitäten zu unterbrechen um sie nach Verbesserung der Situation wieder zuzulassen. Dieses Prozedere war in der Fliegerei lange üblich. Circuit Breakers (CB) wurden wie Schalter benutzt um Resets durchzuführen oder Komponenten zur Fehlersuche zu isolieren. Es wurden sogar heraus gesprungene CBs wieder hinein gedrückt. In der Aufarbeitung des SR 111 Absturzes hat ein Umdenken stattgefunden. Swissair untersagte ihren Besatzungen ausgelöste Sicherungen im Flug wieder hinein zu drücken ohne Absprache mit dem Engineering in Kloten. Per Design der Sicherungen kann ein technischer Defekt oder ein Kurzschluss ursächlich sein und könnte zu einem Brand führen. Diese Handhabung hat sich weltweit durchgesetzt und die Flugzeughersteller haben mittlerweile die meisten Sicherungen dem Piloten Zugriff entzogen und sie ins Electronic Compartment unter dem Cockpit verbannt. Es hat wohl eine Lucke aber es steigt kein verantwortungsvoller Pilot im Flug hinunter. Auf dem Bildschirm wird angezeigt welche Sicherung mit welcher Folge angesprochen hat. Während der Cockpit Vorbereitung wird geprüft ob alle CBs intakt sind. Weiter checkt man alle Kontrolllämpchen mit einem Testknopf. Auf einem Flug nach Budapest schickte mich der Kapitän nach hinten um das Nachtessen in der ersten Klasse zu geniessen. Als Safetypilot musste ich den Copiloten in Ausbildung vor allem bei Start und Landung überwachen. Das Essen endete abrupt. Ich müsse sofort ins Cockpit. Sämtliche Kontrolllampen leuchteten. Die digitalen Anzeigen der Funkgeräte und Navigationshilfen zeigten lauter 8 und machten ein anwählen von Frequenzen in der MD80 unmöglich. Der Kapitän wollte seiner Ausbildnerrolle gerecht werden und dem Jungpiloten etwas zeigen. Beim drücken des Knopfes für die Warnlampen brach dieser blockiert im Testmodus. Mit Hilfe der analogen Grundinstrumente für Geschwindigkeit, Höhe und Flugrichtung näherten wir uns unter Führung der Bodenkontrolle auf der Notfrequenz Budapest wo wir dank gutem Wetter im Sichtflug landeten. Mit demselben Kapitän strandete ich übrigens später in Portugal wegen dem Streik französischer Fluglotsen. Wir alle hatten nichts dabei für die Übernachtung. Er schon. Er habe immer eine Badehose in seiner Pilotentasche, lachte mich der an der Nordsee aufgewachsene ehemalige Starfighter Pilot an. Nicht nur englische Ausdrücke werden bei uns anders angewendet auch Ereignisse im angelsächsischen Raum spielen sich nicht immer so ab wie bei uns berichtet. Etwa Demonstrationen und Streiks in den USA. In Chicago wurden wir extra früher aus dem Hotel geholt weil zuhause von Grossdemos gegen die Eröffnung der achten Piste von O`Hare, drei weitere sind geplant, geschrieben wurde. Keine zehn Gestalten mit Schrifttafeln hingen gelangweilt an unserem Terminal herum. Aus Kalifornien wurde bei uns von grossen landesweiten Demonstrationen und Streiks der Gewerkschaft Verkaufspersonal berichtet. Die vier einsamen Streikenden vor dem VON Supermarkt in L.A. waren froh, dass sie wenigstens von uns Beachtung fanden und posierten freudig für ein Foto.

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