Die Sache mit dem DU

Geschrieben von Markus Müller

So locker die Fliegerei scheinen mag, so förmlich war sie früher. In der Fliegerschule und der Einweisung auf das Swissair Basisflugzeug DC-9 waren wir mit den Fluglehrern per sie. Das änderte nach dem Final Check. Unter den mehrheitlich jungen Besatzungsmitgliedern herrschte ein familiäres Klima.

Die Kapitäne kamen von der Langstrecke wo sie als Copiloten im Einsatz waren und die Flight Attendant mussten zwei Jahre ihre Sporen auf der Kurzstrecke abverdienen. Es gab keinen Maître de Cabin, sondern das dienstjüngste Crew Mitglied wurde als Kabinenchefin bestimmt für den Flug. Das konnte ohne weiteres jemand mit nur wenigen Monaten Berufserfahrung treffen. Sogenannte Saisonals, die temporär neben Studium oder Beruf als Flugbegleiter im Einsatz waren, hatten zwar oft mehr Erfahrung, kamen aber für die Führungsarbeit nicht in Frage. Man war ab Beginn des Einsatzes per du miteinander. Ausnahmen waren die Chefpiloten oder ältere Kapitäne die um ihr hierarchisches Gewicht fürchteten. Ein Instruktor und ehemaliger Fliegeroberst war sehr formell und distanziert. Bis zu seinem eigenen Checkflug wo er, da wohl zu eitel für eine Lesebrille, in der Dämmerung die kleinen Zahlen der Anflugkarten kaum lesen konnte. Ich habe ihm, im Sinne der Teamarbeit und des in der Fliegerei wichtigen geschlossenen Kreises die wichtigsten Zahlen jeweils vorgelesen. Der Checkpilot hinter uns meinte im Debriefing, wir hätten eine sehr gute Teamarbeit gezeigt und der Geprüfte reichte mir spontan die Hand, er heisse Dave. Der Wechsel auf die Langstrecke war Eintritt in eine neue Welt. Im Cockpit war man meist rasch beim kollegialen du. Mit dem Kabinenpersonal oft erst nach dem ersten Bier an der Destination. Kapitän F. war ein hervorragender Pilot und nebenbei Mitglied der Geschäftsleitung. Er war äusserst korrekt und sehr distanziert. Nachdem er im Flug ausgiebig die NZZ studiert hatte, erlaubte ich mir ebenfalls einen Blick in die Zeitung. Dass es der Tagesanzeiger war brachte mir einen missbilligenden Blick ein. Als ich dann als erstes den Wirtschaftsteil zur Seite legte griff er ein. „Das sind die wichtigsten Seiten, damit können sie mehr Geld verdienen als das Copiloten Salär“, belehrte er mich. Meine Antwort, mich würde als junger Familienvater höchstens der Hypothekarzins interessieren, liess ihn weitere Ratschläge sparen. Nach zwei Nächten in Rio trafen wir uns am Morgen für den Flug nach Buenos Aires. „Herr Müller würden sie bitte die Jacke anziehen“, forderte er mich vorwurfsvoll auf. „Herr F., ich habe keine Jacke dabei es wird heute vierzig Grad heiss“, bedauerte ich nicht echt. Er stutzte einen Moment und forderte dann den Rest der Crew auf die Jacke auszuziehen, man müsse ein einheitliches Bild abgeben. Nach Uniform Reglement war es Piloten erlaubt in den Tropen den Flug im Kurzarmhemd anzutreten, das Kabinenpersonal hingegen hatte Jacken Zwang. Man sah F. das Unwohlsein in seinem Langarmhemd, ein kurzes besass er wahrscheinlich gar nicht, förmlich an. Ich habe ihn kürzlich getroffen an einem Bankenanlass, immer noch per sie und mit Jacke. Es gab aber auch diejenigen die einem im Cockpit nur temporär mit du anredeten sobald der Stresspegel stieg. C.M. war so einer, beim Kabinenpersonal sehr unbeliebt und als Copilot musste man ihn erdulden. Der ehemalige Fliegeroberst griff seinen Copiloten ungeniert und völlig unüblich ins Steuer wenn er der Meinung war er würde es anders machen. Ebenso unbeliebt bei der Kabinencrew war G.R. Wenn er Kaffee bestellte, was häufig der Fall war, zückte er sein Holstäbchen und wünschte, dass das gebrachte Getränk genau diese Farbe aufweisen müsse. Ohne weiteres wies er die Tasse bei nichterfüllen zurück. Der Wechsel zum Zweimann Cockpit ohne Flight Engineer änderte die Zusammenarbeit grundlegend. Ohne kompromisslose Teamarbeit lässt sich ein modernes Verkehrsflugzeug nicht fliegen. Das mussten auch alte Fliegerasse rasch lernen. Wenige schafften es nicht und gingen mit dem Flight Engineer in Frühpension. Die letzte Entscheidung bleibt aber immer beim Kapitän. Zu einer eigenartigen Situation führte das, als wegen Copiloten Mangel zwei Kapitäne und ein Copilot eine MD-11 vom Fernen Osten nach Zürich flogen. Nach Delhi hatten sie einen Triebwerkschaden und entschlossen sich zur Ausweichlandung in Karachi. Der Kapitän liess seinen Kollegen wecken er könne übernehmen. Dieser fand mit zwei Motoren könne man weiterfliegen und drehte die Nase wieder westwärts Richtung Zürich. Zunehmende Komplexität in Cockpit und Kabine, Stresssituationen, rasche Klimawechsel, grosse Zeitverschiebungen und der Umgang mit fremden Kulturen beleben zwar die Arbeit, machen sie aber auch äusserst anspruchsvoll und fordernd. Kollegialität und Fürsorglichkeit füreinander nicht nur im Flugzeug sondern auch an den Destinationen ist wichtig. Gerade die Weihnachtszeit kann bei Aufenthalten fern der Angehörigen zu schaffen machen und die Crew Gemeinschaft wird noch wichtiger. Wenn im Hotel in Sao Paulo der Weihnachtsbaum keine Tanne ist sondern riesig aus hunderten von blühenden Weihnachtsternen aufgebaut ist realisieren junge Mitarbeiter die das erste Mal Südatlantik und Äquator überquert haben, dass sie in einer anderen Welt angekommen sind.

 

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