Von meinem Büro im Swissair Operation Center aus sah ich direkt in den Dispatcher Raum hinunter, wo die Planung der Flugzeuge vor dem Start, im Flug und nach der Landung gemacht wird. An grossen Bildschirmen wird die Disposition der Flugzeuge dargestellt. Aber auch spezielle Wettersituationen wie Hurricanes, politische Entwicklungen oder News Sender werden aufgeschaltet wenn aktuelle Geschehnisse es erfordern. Plötzlich nahm ich eine grösser werdende Menschengruppe wahr die gebannt auf den Bildschirm starrte. Als ich mich dazu gesellte war eine Rauchwolke an einem Turm des World Trade Centers in New York zu sehen.
Die Wiederholungen zeigten ein Flugzeug das in das Manhattan überragende Gebäude flog. Der Kommentator nahm uns den ersten (Wunsch) Gedanken es sei eine Animation. Wir trauten unseren Augen kaum als ein zweites Verkehrsflugzeug ins Bild kam mit Kurs auf den zweiten Turm. Ein Aufschrei ging durch die Gruppe von Dispatcher und Piloten. Mein erster Gedanke war, das gibt Krieg. Die Meldung, dass der ganze Luftraum über den USA gesperrt werde riss uns in die Wirklichkeit und an die dringende Arbeit zurück. Es ging darum die Swissair Flugzeuge über dem Nordatlantik nach Kanada umzuleiten da eine Umkehr nicht mehr möglich war. Der Boston Flieger etwa war auf 45 Grad West als er die Hiobsbotschaft vernahm. Die Crew verlangte bei Gander Radio die Bewilligung nach Montreal auszuweichen. Das wurde barsch verweigert und sie bekamen Anweisung Kurs auf Gander zu nehmen. Bis sie über dem Festland ankamen, waren die Abstellplätze von Gander allerdings voll und das Flugzeug landete schlussendlich in Halifax um sich Rumpf an Rumpf mit 40 anderen Airlinern einzureihen. Der Funkspruch von Gander Radio, der Kontrollstation die den Luftraum über dem westlichen Nordatlantik kontrolliert, „we have no more planes on our radar – wir haben kein Flugzeug mehr auf dem Radar”, beendete den unwirklichen Moment während dem das komplexe Räderwerk der Nordatlantik Fliegerei zum vollständigen Stillstand kam. Alle zivilen Flugzeuge über dem amerikanischen Festland waren längst am Boden. Sofort wurde das Emergency Command Center der Swissair für fünf Tage rund um die Uhr in Betrieb genommen um die Betreuung der gestrandeten Passagiere zu organisieren und die Flugzeuge wieder in die Luft und nach Hause zu bekommen. 130 Mitglieder des Care Teams standen im Einsatz um für die Passagiere zu sorgen gemäss „Swissair – we care“. Zum Krieg kam es zum Glück nicht aber wir ahnten, dass es das Ende unserer Airline bedeuten könnte. Wir wussten wie schlecht es finanziell stand und die vielen Management Wechsel waren wenig verheissungsvoll. Erst ein paar Wochen zuvor wurde mein Flugzeug in Agadir erst betankt als unser Vertreter Bankgarantien besorgen konnte dafür. Seither war es nicht ungewöhnlich, dass wir bei gewissen Flügen zehntausende Dollar Cash im Cockpit mitführten um Kerosin und Bodendienste bar bezahlen zu können.
Das Flugzeug wurde zur zerstörerischen Waffe
Was am 11. September 2001 geschah erschütterte das Weltbild nicht nur von uns Piloten. Wir wussten viel über technische Notfälle und trainierten den Umgang damit. Flugzeugentführungen und Bomben an Bord wurde in Kursen thematisiert und im Simulator geübt. Nine-Eleven zeigte aber eine neue schreckliche Dimension, nämlich das Verkehrsflugzeug als Kamikaze Waffe zu benutzen. Das zu verhindern war nur möglich mit einer völligen Abschottung des Cockpits. Deshalb musste zusammen mit den Flugzeugherstellern ein Konzept mit einer sofortigen und später definitiven Lösung gefunden und vorgelegt werden um überhaupt wieder die Bewilligung für Flüge in die USA zu bekommen. Die ultimative Lösung, Einbau einer Toilette im Cockpit und totale Abschottung während dem ganzen Flug, schien unrealistisch und stiess auf grossen Widerstand. Schliesslich setzte sich eine gepanzerte Türe mit elektronischem Schloss durch und wurde zum Welt weiten Standard. Mit einer Klingel kann man sich an der Cockpit Türe anmelden. Nach Identifikation der Person und Kontrolle der Umgebung der Cockpit Türe via Videokameras öffnet der Pilot die Verriegelung. Kommt keine Reaktion aus dem Cockpit telefonieren die Flight Attendants oder können einen geheimen Zahlen Code eingeben. Die Piloten haben dann während einer kurzen Zeitspanne die Möglichkeit die automatische Türöffnung mit einem Tastendruck abzulehnen wenn sie eine Bedrohung oder einen Missbrauch des Codes sehen oder vermuten. Die Tür bleibt dann bis nach der Landung verschlossen. Erfolgt keine aktive Ablehnung öffnet sich die Verriegelung automatisch in der Annahme den oder dem Piloten sei etwas zugestossen.
Unvergessliches Mahnmal WTC
Mein amtliches Flugbuch mit Starts, Flugzeiten und Landungen liest sich ab August 2001 wie ein Geschichtsbuch. Am 23. August 2001 flog ich einen Airbus A330 nach New York John F Kennedy Airport. Ich genoss auf dem Empire State Building die noch friedliche Aussicht über Manhattan. Es sollte mein letztes Foto von den beiden World Trade Center Türmen sein. Am 17. Oktober hatte ich wieder einen Flug nach JFK. Der elfte September und das Swissair Grounding veränderten in diesen fünf Wochen die Luftfahrt total. Immerhin flogen wir wieder. An Bord hatten wir Ulrich Bremi der damals die Arbeitsgruppe Sanierung Swissair des Bundesrats leitete. Volle drei Stunden unterhielten wir uns mit ihm im Cockpit und erfuhren viel über gemachte Fehler und wie schwierig es ist Lösungen zu finden. Am folgenden Tag besuchte ich wieder das Empire State Building. Auf der vollen Plattform herrschte betroffene Stille. Im Blick Richtung Süden fehlten die zwei Türme des WTC die ich vor fünf Wochen fotografierte. Leichter Rauch stieg aus der betroffen machenden Lücke. Seither führte ich unzählige Flüge nach New York durch. Das Tor in die neue Welt anzufliegen war immer mein Piloten Traum aber nach 9/11 ist es anders. Im Anflug auf Newark fliegt man in geringer Flughöhe Manhattan entlang und der Blick verharrt unausweichlich am Ort des damaligen Geschehen. Man wäre in wenigen Sekunden wieder dort würde man den Steuerknüppel nach links vorne drücken. Deshalb kommt der sorgfältigen Selektion und der ständigen Beurteilung der psychischen Verfassung und Stabilität von Piloten und Pilotinnen eine enorme Bedeutung zu.