Ein grosser Traum geht zu Ende

Geschrieben von Markus Müller

Mit dem emotionalen Satz ins hingehaltene Mikrofon, „heute geht ein grosser Traum zu Ende“, verliess am letzten Donnerstag ein italienisches Flight Attendant mit Tränen in den Augen das Flugzeug des letzten Alitalia Flugs. Wortlos folgte sie ihrer letzten Crew durch das stumme Spalier von Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeitern von Alitalia und dem Flugplatz Rom Fiumicino. Tausende Piloten und Flugbegleiter auf der ganzen Welt fühlen mit ihr mit und verstehen ihre Verzweiflung und ihren Frust. Stumm und wortlos heisst auf Italienisch wohl endgültig. Das Aus hatte der staatlichen Airline in den letzten drei Jahrzehnten schon mehrmals gedroht.

Gewinn machte das aufgeblasene Unternehmen schon lange nicht mehr und die riesigen Verluste wurden trotz Italiens EU Mitgliedschaft und klar anderslautenden Finanzvorschriften immer wieder vom Staat beseitigt. Immer wurden drohende Groundings und angekündigte Restrukturierungen mit Personalabbau von lautstarken Protesten und Streiks abgewendet. Wir ärgerten uns zwar wenn wir uns auf den italienischen Flugplätzen den Weg durch die Streikenden hindurch zu unserem Flugzeug bahnen mussten. Wir flogen den ganzen Tag der Verspätung hintennach wenn unser Start in Rom oder Mailand wegen bummelnden Kollegen und den dadurch mit grün-weiss-roten Flugzeugen verstopften Rollwegen verzögert wurde. Aber wir bewunderten unsere Kolleginnen und Kollegen auch für ihre Konsequenz und vor allem was sie damit erreichten. Nämlich das eigentlich chancenlose Überleben über Jahrzehnte. Fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren war die Swissair in derselben Lage. Allerdings war das damalige Grounding viel überraschender, dramatischer und chaotischer als bei unserem südlichen Nachbar. Ein paar Jahre später versammelten wir uns, mittlerweile als Swiss MD-11 Crew im behüteten Schoss von Mutter Lufthansa, in der Hotellobby in Sao Paulo fürs Abendendessen. In der Polstergruppe nebenan war die Alitalia Crew versammelt. In Uniform arbeitsbereit für den Nachtflug nach Rom. Sie waren bedrückt und ungewohnt ruhig, entweder vor sich hin starrend oder den Blick Richtung ihrem Kapitän der in der Lobbyecke gestikulierend am Telefon war oder ihrer Kabinenchefin die in der anderen Ecke laut das Telefon bearbeitete. Teilnahmsvoll erkundigte ich mich was denn passiert sei. Alitalia stehe vor dem aus, ein Teilgrounding drohe und Massenentlassungen würden bevor stehen. Meine Crew zeigte viel Mitgefühl. Der Schock unseres Groundings war plötzlich wieder präsent. Grün-weiss-rot und rot-weiss vereinigten sich, hielten Händchen und reichten Taschentücher zum Abwischen der Tränen. Sie hätten nicht mit ihren Vorgesetzten telefoniert, sondern mit ihren Gewerkschaftsfunktionären, erklärte mir der Alitalia Kollege. Die Situation sei diesmal sehr ernst denn die Gewerkschaft habe sie angewiesen nach Hause zu fliegen und nicht Flugzeug und Passagiere demonstrativ in Sao stehen zu lassen. Der Lärmpegel stieg wieder, die italienischen Kollegen verabschiedeten sich überschwänglich von uns als wäre es das letzte Mal. Das Thema beim Nachtessen war gegeben.
Es bleiben Erinnerungen
Damals haben sie noch einmal überlebt und wie so viele Male hat der Staat dem Missmanagement aus der Patsche geholfen. Jetzt scheint es endgültig zu sein. Ob die neue sich im Staatsbesitz befindliche Airline mit dem Namen ITA allerdings bis 2025 rentabel sein wird muss sich erst noch weisen. Die trikolore Streifen am Schwanz und an den Triebwerken der auf blau umzuspritzenden Alitalia Flotte, die Hälfte der 110 Flugzeuge soll übernommen werden, sind mindestens ein Symbol des Aufbruchs genannt zusammen mit dem Europameistertitel im Fussball und den 40 Medaillen in Tokyo. Uns bleiben viele Erinnerungen an die Alitalia. Wie haben wir uns genervt an ihrer offensichtlichen Bevorzugung in Rom. Uns Ausländern wurde immer die volle Länge der Westpiste für den Start zugeteilt. Während wir am Pistenende warteten und warteten erhielten hinter uns alle Alitalia Maschinen die Startbewilligung ab sogenannten Intersection Startpunkten. Dasselbe nach dem Start wo die Einheimischen sofort rechts Richtung Elba abdrehen durften während wir Dutzende Meilen westwärts fliegen mussten. Die scheinheilige Begründung auf unsere Reklamationen war immer dieselbe. Alitalia habe eben ein Slot, also ein Zeitfenster, der sonst verpasst werde. Wir freuten uns mit ihnen wenn sie nach Meistertiteln im Fussball beim Rollen die Fahne zum Cockpitfenster hinaus schwenkten und konnten uns eine Gratulation am Funk nicht verkneifen vor allem wenn Lufthansa Maschinen auf der Frequenz waren. Im Anflug auf L.A. hat uns ein Alitalia Jumbo die Bordküche durcheinander gebracht. Über Hollywood gerieten wir in seine Wake Turbulance und die auch nicht gerade leichtgewichtige DC-10 befand sich, nachdem sich der Autopilot verabschiedet hatte und diverse Warnungen losgingen, in einer 60 Grad Schieflage. Maximal geben wir in der Kurve 30 Grad Querlage. Hoch zu und her ging es wenn eine Alitalia Crew im gleichen Hotel übernachtete. In Caracas hatten wir eine Woche Aufenthalt. Nach der Ankunft stürmten sie noch in Uniform die Poolbar zu den Merengue Klängen. Einmal, ein paar aus unserer und der Alitalia Crew hatten den Flug wohl abgesprochen, wurde es uns tatsächlich zu laut und wir drei vom Cockpit nahmen uns zusammen mit Kolleginnen aus der Kabine einen Kleinbus und fuhren ein paar Tage aufs Land. Für viele Alitalia Mitarbeiter, von 10000 werden lediglich 2800 von ITA übernommen, geht ein Traum zu Ende. Vor zwanzig Jahren ging auch der Swissair Traum zu Ende. Einer der letzten Träume hängt heute noch im Piloten Planungsraum in Kloten. Swissair hatte neun A340-600 Langstreckenjets bestellt. Im Rahmen der Liquidation wurde die Bestellung aufgelöst. Swiss kaufte später die „billig“ Version A340-300. Sekundarschüler aus Ramsen bastelten mit ihrem Lehrer Arthur Meister im Sommer 2001 ein Modell des Flugzeugs und überreichten es dem Chefpiloten mit der Widmung: „Ramser Jugendliche glauben an die Zukunft der Swissair“. Das drei Meter Modell fordert immer noch jeden Swiss Piloten beim Antritt seines Flugs auf den Traum vom Fliegen zu behalten.       

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