Es gibt oft Rückmeldungen zur bereits seit zehn Jahren regelmässig erscheinenden Kolumne, sei es schriftlich oder durch spontanes ansprechen auf der Strasse. Mein liebstes Feedback in den letzten Jahren kam aber regelmässig von meiner ehemaligen Drittklass Lehrerin. Am Dienstagmorgen um neun Uhr läutete jeweils das Telefon und Heidi Kabangu-Stahel meldete sich. Anfänglich aus ihrem Heim in Hallau, dann aus dem Altersheim Casa Viva. Heidi fand immer Anknüpfpunkte in der Kolumne, um brennende Themen aus Afrika sowie Bildung, Entwicklungshilfe, Gesellschaft, Ungerechtigkeiten auf dieser Welt und Politik zu diskutieren.
Die begnadete Erzählerin fesselte mich mit ihren Erlebnissen und Begegnungen aus fünfzig Jahren leben und wirken im Kongo. Sie faszinierte mit ihrer klaren Darstellung und Analyse der Nord-Süd Problematik und ärgerte sich über deren schiere Unlösbarkeit. So verschieden wir in der grundsätzlichen politischen Ausrichtung waren, so fanden wir uns in diesen Fragen weitgehend aus unser beider Erfahrung ausserhalb der privilegierten Schweiz heraus. Am Tag der letzten Kolumne fehlte ihr Anruf. Mit dem Tod der Gründerin der Schule „Les Gazelles“ in Kinshasa ist ihr Feedback für immer verstummt. Heidi und die Gespräche mit ihr zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft derjenigen die in ihr eine besorgte und fürsprecherische Stimme gefunden haben werden mir fehlen. Leider habe ich sie im Kongo trotz vielen Flügen dorthin nie getroffen. Wir landeten entweder in Kinshasa, damals noch Zaire heute Democratic Republic of Congo, oder in Brazzaville, Republic of Congo. In einem nur wenige Minuten dauernden Flug brachten wir die DC-10 auf die andere Seite des Flusses damit die Kollegen am Morgen den Rückflug antreten konnten. Für den Flight Engineer war es Stress pur, alle Checklisten durchzuarbeiten, und wir Piloten erhöhten den Druck zusätzlich indem wir übermütig Gas gaben und den kurzen Hüpfer mit sportlicher Geschwindigkeit flogen. Später wurden wir mit einer DC-3 Propeller Maschine über den breiten Fluss, man nennt ihn den Fluss der alle Flüsse verschluckt, geflogen. Das wiederum stresste uns, da wir an der Flugweise der einheimischen Piloten nicht immer Gefallen fanden. Die entsetzte Meldung eines Kollegen, sie seien wegen zu langsamen Fliegens fast abgestürzt, führte zu einer eigentlich völlig unsinnigen Dienstanweisung, dass immer einer von uns Piloten hinter dem einheimischen Kollegen sitzen musste um im Notfall eingreifen zu können. Beliebt waren die Picknick Ausflüge zu den Stromschnellen des nördlich von Brazzaville grossflächig verästelten Kongos (Bild) um den Sonnenuntergang zu geniessen. Auf einer Rückfahrt gerieten wir - zusätzlich zu den vierzig Grad - ins Schwitzen. Unser Taxi gab im finsteren Nirgendwo den Geist auf und wollte nicht mehr anspringen. In Afrika sind immer Menschen zu Fuss unterwegs und so sammelten sich immer mehr Leute um unser Fahrzeug an. Es wurde immer lauter bei den vielen Ratschlägen und unzählige Hände verschwanden unter der Motorhaube. Die vielen besorgten Neugierigen machten uns weniger Sorgen als die Distanz zum Hotel, zudem es noch keine Handys gab um die Kollegen zu rufen. Auch unser Fahrer fummelte unkoordiniert am Motor herum und griff unters Armaturenbrett um alle möglichen Drähte zusammen zu führen. Tatsächlich funkte es als er offenbar zwei richtige Kabel erwischte. Mutig hielt er die Funken spritzenden Enden zusammen und tatsächlich rüttelte der Anlasser und der Motor sprang an. Der Kontakt mit meiner ehemaligen Lehrerin kam aber nicht etwa im Kongo zustande sondern viel später in Kamerun. Der Flug zwischen Zürich, Malabo, Doualaöä und Yaoundé, mit Besatzungswechsel je nach Kombination in Douala oder Yaoundé, war immer erlebnisreich. Fliegerisch war es anspruchsvoll und wegen dem tropischen Wetter eine Herausforderung. Die Abfertigung am Boden funktionierte nicht so wie wir es gewohnt waren sondern war bis zum wieder Anschieben der Gashebel ein lautes Durcheinander von vielen Leuten. Nach dem Verlassen des Flugzeugs tauchten wir in eine ganz andere Kultur ein, und der Aufenthalt war oft abenteuerlich. Nach dem ersten Teilstück stiegen in Malabo, der Hauptstadt des Kleinstaats Äquatorialguinea auf einer nur 21 Quadratkilometer grossen Insel im Atlantik, ausschliesslich Erdöl Leute aus und zu. Sie wurden von American Airlines im extra dafür installierten Direktflug Zürich-Dallas weiter in die USA transportiert. Man musste diese kräftigen Texaner, die wochenlang auf Bohrinseln isoliert waren, im Auge behalten wenn sie an Bord dem Alkohol oder unseren Flight Attendants zu nahe kamen. Die lukrativen Flüge waren ausschliesslich Iberia – Spanien als ehemalige Kolonialmacht - und der Swissair vorbehalten. Sie wurden denn nach der Übernahme der Swiss auch rasch auf Lufthansa gewechselt, und American Airline stellte den Betrieb nach Zürich umgehend ein. Mit einem kurzen Hüpfer übers Wasser ging es weiter nach Douala in Kamerun, wo die Crew für den Heimflug ausgewechselt wurde. Nach zwei spannenden Tagen in der brodelnden Hafenstadt wurden wir mit dem Bus nach Yaoundé verschoben. Ein Lastwagen nach dem andern, überladen mit riesigen Baumstämmen für den Export mit dem Schiff vor allem in den Fernen Osten, kam uns auf der landschaftlich schönen Fahrt durch den Regenwald aus der 750 Meter höher gelegenen Hauptstadt entgegen. Unzählige Unfälle wegen versagenden Bremsen der überladenen Fahrzeuge auf der abschüssigen Strasse blockierten immer wieder die Weiterfahrt und machten Zwischenstopps nötig. Dem Personal in Douala kam eine Schlüsselrolle betreffend Pünktlichkeit und überhaupt Weiterführung des Flugs zu. Die Fäden hielt unsere Stationsleiterin Antoinette hervorragend und resolut in der Hand. Sie war gleichzeitig überall mit ihrem sympathischen Französisch, selten angereichert mit Schweizerdeutschen Ausdrücken. Sie kümmerte sich um Problempassagiere, häufig mit uns fliegenden Diplomaten und Ministern, trödelnde Lademannschaften und den Mechaniker der für genug Kerosin für die Betankung kämpfte. Sie versorgte das Cockpit mit Daten und Flugdokumenten, insistierte im Wetterbüro für Flugunterlagen oder beruhigte die Kabinencrew wegen falsch geladenem Essen. Es brauchte unzählige Flüge, auf denen ich mühsam mein Schulfranzösisch abrief, bis wir merkten, dass wir den gleichen Klettgauer Dialekt sprachen und heraus fanden, dass ihre Mutter meine Lehrerin in der dritten Primarklasse war.