Der künstliche Horizont das zentrale Instrument im Cockpit

Geschrieben von Markus Müller

Vorkommnisse im Luftverkehr werden gerne in den Medien erwähnt, oft übertrieben oder nicht ganz richtig dargestellt. Es ist medial wirksam denn für die Meisten ist fliegen immer noch besonders, nicht ganz geheuer und gibt das Gefühl den Piloten ausgeliefert zu sein und ihnen das Leben anzuvertrauen. Oft ist das Geschilderte längst nicht so dramatisch abgelaufen denn die Redundanzen sind sehr gross sodass erst eine Verkettung oder Folge von Fehlern zu einer gefährlichen Situation führt.

So ist vorgeschrieben, dass zwei Piloten im Cockpit sitzen, eine Mindestanzahl von Flight Attendants an Bord ist um bei einer Evakuation alle Türen bedienen zu können und wichtige technische Systeme zwei oder dreifach vorhanden sind. Fällt ein Pilot aus und ist kein ausgeruhter Ersatz verfügbar findet der Flug nicht statt. Fallen Flight Attendants aus, muss die Anzahl Passagiere reduziert werden. Nicht wegen dem Service sondern weil im Notfall nicht alle Stationen besetzt wären. Im landläufigen Cliché wird übersehen, dass die Flugbegleiter/innen eine sehr wichtige Funktion haben zur Gewährleistung der Sicherheit im Flug. Die kulinarische Betreuung der Passagiere steht für die Piloten deshalb an zweiter Stelle. Im Briefing vor dem ersten Start mit einer neu zusammengesetzten Crew wird deshalb immer das Vorgehen in Notsituationen wie Feuer, Druckabfall, Wasserung oder Evakuation besprochen. Ein früherer Leiter der Swissair Abteilung  Kabinen Besatzungen, ein Schaffhauser, war kein Pilotenfreund und stellte die Hierarchie an Bord in Frage und den Service über alles. Das führte zur grotesken Situation, als auf Ultrakurzstrecken Flügen noch Essen serviert wurde, dass im Anflug der Maître de Cabin im Cockpit erschien und meinte wir sollten eine Warteschlaufe fliegen sie brauchten noch Zeit den Service abzuschliessen. Wir wiesen nach vorne: „Dort ist die Piste und euch bleiben fünf Minuten den Passagieren den Teller wegzunehmen und alles für die Landung vorzubereiten“.
Systemkenntnis und fliegerisches Handwerk sind das A und O
Die technischen Systeme müssen gut gewartet, verstanden und richtig eingesetzt aber auch wenn nötig abgeschaltet und mit fliegerischem Grundwissen und Handwerk umgangen werden. Zwei kürzliche Medienmeldungen lassen aufhorchen. Die durch Corona fehlende  Flugpraxis habe bei Qantas Piloten zu Fehlmanipulationen geführt und eine  777 soll beim Start in Dubai zu spät abgehoben und deshalb fast die Prunktürme touchiert haben. Der wegen der Pandemie fehlenden Flugpraxis bei vielen Fluggesellschaften muss mit Simulator Training oder temporärer Reduktion des eingesetzten Pilotenkorps begegnet werden. Der Zwischenfall zeigt, dass die Grenzen der Automatik bewusst sein und die fliegerischen Grundlagen beherrscht werden müssen. Dabei stehen der künstliche Horizont und die manuelle Umsetzung der darauf dargestellten Fluglage im Zentrum. Laut Pressebericht wurde anstatt der angestrebten Flughöhe die Flugplatzhöhe eingegeben. Der Flugdatencomputer sah deshalb keinen Grund beim Start die Piloten anzuweisen die Nase hochzunehmen. Das darf nicht zum Fastunfall führen denn das fliegerische Basiswissen, die Erfahrung und das Können darf bei Berufspiloten vorausgesetzt werden. Vor jedem Start werden drei vitale Geschwindigkeiten abhängig von Temperatur, Luftdruck, Pistenlänge und Gewicht berechnet. Vor Erreichen von V1 (Startabbruch Geschwindigkeit, darüber ist kein abbruch mehr möglich) muss der Start bei Problemen wie Triebwerkausfall oder Feuer abgebrochen werden. Nach V1 reicht die Pistenlänge nicht mehr aus und man muss zwingend in die Luft. Bei Vrotate (Abhebe Geschwindigkeit) muss deshalb am Steuer gezogen und die Nase hoch genommen werden. Wenn auch spät wurde in Dubai die Katastrophe mit dem schweren vollgetankten Flugzeug knapp verhindert. Die Piloten kennen diese Geschwindigkeiten und wissen wo sie die Flugzeugnase am künstlichen Horizont halten müssen auch wenn der Computer falsche oder keine Werte liefert. Der aus Erfahrung geflogene Anstellwinkel lässt das Flugzeug mit der dritten Geschwindigkeit V2 steigen. Bei jeder Umschulung auf einen anderen Typ haben wir diese vitalen Horizont Werte im Simulator erflogen und für immer eingeprägt. In der kritischen Startphase und im Flug in Wolken oder über Meer ist der künstliche Horizont die einzige Lagereferenz. Allwetter und Interkontinental Flüge wären ohne dieses zentrale Instrument unmöglich. Man muss ihm aber bedingungslos vertrauen. Dazu ist es dreifach mit unabhängigen Sensoren vorhanden um zu erkennen wenn ein Horizont falsch anzeigen sollte. Flugschüler mussten ihre Berufsträume begraben weil sie im Blindflug ihren dafür völlig unfähigen und falschen Sinnesorganen folgten und dem künstlichen Horizont misstrauten. Sie wären ohne Fluglehrer abgestürzt. Zu DC-10 Zeiten war der Horizont ein mechanisches Wunderwerk mit mechanischen Kreiseln. Höhe, Geschwindigkeit oder Sink- und Steigrate mussten auf im ganzen Instrumentenbrett verstreuten Instrumenten zusammengesucht werden. Wir wurden im sogenannten Scanning gedrillt alle Instrumente in rascher Folge abzusuchen, zu interpretieren und am Steuer umzusetzen. Mit der Digitalisierung ist der Horizont zum ultimativ zentralen Instrument geworden der alle für das sichere Fliegen nötigen Informationen enthält. Die früher auswendig zu lernenden und von Checkpiloten genüsslich abgefragten Limiten sind präsentiert und zeigen mit ändernden Farben Gefahrenzustände an. Aber, wie Dubai zeigt, muss erkannt werden wenn Anzeigen ausfallen oder falsch sind. Das fliegerische Grundhandwerk muss kompromisslos beherrscht und abrufbereit sein wenn der Autopilot aufgibt, falsche Daten liefert oder sogar falsche Steuerinputs gibt. Fliegen ist eben nicht Autofahren wo es nur links, rechts, Gas oder Bremse gibt. Die Bewegungen um die drei Achsen, die Höhe und die Geschwindigkeit müssen in jeder Situation beherrscht werden. Deshalb heisst es im Notfall immer, auch wenn die Verlockung gross ist das Problem rasch zu lösen, „zuerst fliegen“. Dass Fliegen nicht Auto oder Velofahren ist musste ein ehemaliger Flight Engineer schmerzlich erfahren. Nach Ausflottung des Jumbos wurden einige zu Piloten selektioniert und geschult. Einer scheiterte bereits im einmotorigen Schulflugzeug. Er brachte die Fluglehrer zum Verzweifeln da er am Boden in stressigen Phasen auf die falsche Seite rollte. Bugfahrwerk und Bremsen werden im Flugzeug mit den Fusspedalen gesteuert. Für eine Linkskurve muss der linke Fuss vor und der rechte zurück gehen. Für ihn war die Aviatik Karriere beendet da er die umgekehrte Velo Logik mit Lenker links zurück rechts vor für eine Linkskurve nicht ablegen konnte.       

 

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