Neuerdings ist das Befliegen des russischen Luftraums für westliche Airlines verboten. Dabei ist es noch gar nicht lange her, seit das riesige Land im Transit überflogen werden kann. In den achtziger Jahren war das Anfliegen von russischen Destinationen möglich, aber nur bedingt das Überfliegen für die Landung in Drittländern. Die Aufenthalt an der Destination Moskau zeigte uns zur Sowjet Zeit eine andere Welt. Man fühlte sich im staatlichen Intourist Hotel oder auf dem roten Platz, ehrfürchtig und etwas schaudernd vor dem Kreml oder dem Lenin Mausoleum stehend, ständig beobachtet obwohl wir uns als Flight Crew frei bewegen konnten.
In unseren Weisungen stand zwar, wir sollten keine Bücher oder Zeitschriften mitführen und keine politischen Diskussionen führen. „Ein Swissair Pilot hat mir in den siebziger Jahren jeweils Bücher und Zeitungen in meinen Moskau Studienaufenthalt gebracht, ohne Wissen des KGB“, erinnerte sich Wirtschaftsanwalt Peter Nobel in seinem Gastreferat anlässlich einer Generalversammlung der Schaffhauser Industrievereinigung an die Anekdote aus der Zeit des kalten Krieges. Er habe immer noch Kontakt mit dem pensionierten Kapitän. Ich kann mir lebhaft vorstellen wie die Übergabe im Intourist Hotel unterhalb des roten Platzes stattgefunden hat, misstrauisch beobachtet von der beleibten Anstandsdame die auf jedem Stockwerk Wache hielt. Wir haben uns jeweils beim Bier oder Vodka auch ausgemalt, ob die hohen kahlen Zimmer bei wichtigeren Gästen als wir es waren verwanzt waren. Offiziell waren wir auch Überbringer der Diplomatenpost. Die feldgrauen versiegelten Ledersäcke wurden uns in Kloten gegen Unterschrift übergeben und wir lieferten sie dem Botschaft Personal gegen Unterschrift im Cockpit ab. Gefühlt enthielten sie nicht nur Papier. Kulinarisch hob sich Moskau damals gar nicht ab. Die Speisekarte im Hotel war zwar lang aber in der Regel war ausser Kaviar und Borscht, der traditionellen Suppe mit Randen, Kartoffel, Rüebli und Kohl, nichts daraus erhältlich. Das Morgenessen nahmen wir auf dem Flugzeug ein.
Flug nach Japan hinten herum
Den Flug nach Tokyo führten wir vor dem Mauer Fall hinten herum durch über Alaska. Die lange Flugzeit bedingte eine Zwischenlandung zur Treibstoff Aufnahme und zum Auswechseln der Crew in Anchorage. Da Swissair damals zu wenig DC-10 Piloten hatte wurden SAS Piloten und Flight Engineer eingemietet die das Flugzeug mit unserer Kabinenbesatzung nach Tokyo und zurück flogen während wir eine Nacht in Anchorage verbrachten. Solche „Ausleihungen“ von Flugzeugbesatzungen waren nicht unüblich. MD-80 Piloten von uns flogen eine Zeit lang für Air Afrique in Westafrika. Ich selber war mit Kollegen einen Winter mit Finnischen DC-9 Maschinen in Finnland unterwegs. Für diese Operation mussten wir eine Umschulung zur Erlangung der finnischen Lizenz absolvieren. Als Überbleibsel aus dem zweiten Weltkrieg war es übrigens Piloten Kollegen mit Deutscher Staatsbürgerschaft nicht erlaubt finnisch immatrikulierte Flugzeuge zu fliegen. Die schwedischen Kollegen hingegen brauchten keine zusätzliche Schulung da unsere DC-10 im Rahmen der KSSU (KLM-Swissair-SAS-UTA)Beschaffungs- und Wartungsgemeinschaft genau gleich konfiguriert waren und identische Cockpits hatten wie die SAS Maschinen. Wir mussten lediglich unsere Checklisten und Handbücher mitnehmen während sie ihre eigenen Unterlagen mitbrachten. Die Herausforderung war das Überfliegen des Nordpols. Es bedingte zusätzliche Instruktion, denn Navigation in Pol Nähe war Neuland im Umgang mit einer Kompassnadel die verrückt spielt. In der Praxis war es aber weit weniger spektakulär, da die DC-10 bereits mit einem Inertial Navigation System ausgerüstet war welches sich nicht um den magnetischen Nordpol scherte. Schnell drehende Kreisel und hoch präzise Beschleunigungsmesser lieferten die Datengrundlage für den Navigationsrechner um die Position und den Kurs zum nächsten Navigationspunkt zu berechnen. Die Technologie stammte aus der Apollo Zeit. Die Astronauten hatten schliesslich den Mond gefunden also sollten wir Anchorage wohl auch finden. Wir schauten aber trotzdem gebannt auf den mechanischen Kompass wenn der Zeiger jeweils herum tanzte und nicht mehr wusste wo Norden ist. Draussen boten sich wunderbare Bilder mit der Polarnacht, den Vorhang ähnelnden Polarlichtern und den Sechstausendern im Anflug auf Anchorage. Nach dem Mauerfall und der Öffnung des russischen Luftraums, er brachte dem Land mit den hohen Gebühren auch erwünschte Devisen, wurden die Japan Flüge markant kürzer via Sibirien. Bei starkem Gegenwind musste die DC-10 ausnahmsweise in Moskau zwischenlanden. Eine Cockpit Besatzung wurde bei entsprechender Wetterlage am Vorabend dorthin positioniert um allenfalls das Flugzeug nach Zürich zu fliegen. Für die nachfolgenden Typen MD-11, A340 und B777 erübrigte sich das. Auch die Flüge nach Peking und Schanghai profitierten von den nun benutzbaren Lufträumen über Sibirien und der Mongolei als signifikante Abkürzung. Die lange eintönige Strecke über die Steppenlandschaft wird nur durch kleine Bergwerksiedlungen, Energiegewinnungsanlagen und militärische Anlagen aufgelockert und geteilt durch eines der längsten Flusssysteme der Welt, den Ob ab Novosibirsk. Es blieb viel Zeit sich auszumalen wie die seltenen Siedlungen als Gulag im Rahmen des sowjetischen Zwangsarbeitssystems dienten. Ausweichflugplätze für den Notfall gibt es wenige. Die aktuelle Sperrung des russischen Luftraums hat grosse Auswirkungen. Die Flüge müssen südlich umgeleitet werden und verlängern sich um Stunden mit massivem Mehrverbrauch an Kerosin, Bedarf von mehr Crewmitgliedern, zusätzlichen Überfluggebühren und haben Einfluss auf den weltweiten Flugplan da die Flugzeuge mit viel Verspätung in Zürich ankommen.
Tschernobyl meldet sich zurück
Neben dem unverständlichen Leid der Bevölkerung droht zusätzliche Gefahr aus dem Kriegsgebiet mit der Atomruine Tschernobyl und anderen Atommeilern. Als 1986 zwei Explosionen einen Reaktorblock zerstörten und radioaktives Material in die Atmosphäre gelangte hatten die Flugzeugbesatzungen grosse Befürchtungen und Vorbehalte in diese Gegend zu fliegen. Zur Beruhigung wurde ihnen Dosimeter der Schweizer Armee mitgegeben. Das war allerdings eine reine Alibi Übung zur Beruhigung, denn militärische Instrumente für den Atomkrieg sind weit weniger sensibel als solche wie sie vom Gesundheits Personal getragen werden. Es erstaunte deshalb nicht, dass nichts registriert wurde und die Flüge als bedenkenlos weiter geplant wurden. Überhaupt wurde die Strahlungsbelastung von Flight Crews noch nie ernsthaft untersucht, denn die Angst der Airlines ist zu gross, dass es zu Einschränkungen im Einsatz kommen könnte.