Vor fünf Tagen war der nationale Tag des Papierfliegers. Mit der simplen, der Phantasie keine Grenzen setzenden Idee des Papierfliegers soll der Urwunsch des Menschen vom Fliegen gefeiert werden. Dass es Spass macht erlebte ich kürzlich am Altersnachmittag in Schlatt (TG) anlässlich meinem Vortrag über die Fliegerei. Als Dekoration hatten Kinder bunte Papierflieger gebastelt und an jeden Sitzplatz ein Blatt Papier gelegt. Nach Kaffee und Kuchen faltete die Pfarrerin als Erste gekonnt einen Papierflieger.
Der erfolgreiche Flug motivierte und bald flogen die Eigenbauten durch den Saal. Es wurde diskutiert und mit verschiedener Falttechnik die Flugeigenschaft verändert. Wenn man die Flügelhinterkante nach oben bog, liess sich sogar ein Looping fliegen. Ein weiteres Ziel des 2001 in den USA ins Leben gerufenen Gedenktags war Jung und Alt von der elektronischen Unterhaltung loszureissen um im Freien selbstgebastelte Modelle fliegen zu lassen. Tatsächlich verlangt falten und fliegen von Papierfliegern, Modellflugzeug fliegen und erst recht selber ein Luftfahrzeug zu pilotieren mehr als steuern eines virtuellen Luftfahrzeugs am Computer. Moderne Simulatoren kommen der Realität zwar sehr nahe aber es gilt noch einen Schritt zu überwinden um vom sicheren Erdboden abzuheben. In der Pilotenschule hatten wir einen gefürchteten Simulatorinstruktor. Er liess uns imaginäre Warteschlaufen fliegen und wir mussten das einfliegen ins Holding aufs Grad genau berechnen, Wind korrigiert fliegen und dabei Höhe und Geschwindigkeit mit kleinen Toleranzen halten. Unsere Flugwege und alle Abweichungen wurden aufgezeichnet und jeder Fehler schlug sich in der Qualifikation nieder und konnte entscheidend sein den Traum Linienpilot weiterführen zu können. Beim Besuch unseres Flugtrainings durch besagten Simulatorinstruktor überliess der Fluglehrer dem Nichtpiloten das Steuer. Er packte es mental nicht und scheiterte kläglich sich real im dreidimensionalen Raum zu bewegen mit Böen, Turbulenzen und absorbierenden Anweisungen am Funk die er nicht selber eingeben konnte. Es war damals so und gilt immer noch: „Wer den Simulator perfekt beherrscht kann noch lange nicht ein Flugzeug fliegen“. Wenn wir mit modernen Jets in eine Warteschlaufe einfliegen wählt der Autopilot das richtige Einflug Prozedere. Die älteren Piloten erinnern sich dann mit schmunzeln oder auch schaudernd an die Zeit wo wir geschlaucht wurden, richtig rechnen und exakter fliegen mussten als es der Autopilot kann. Mittlerweile können die Flugwege von Linienflugzeugen in Echtzeit von jedermann auf Flightradar24 verfolgt werden. Wenn ein Flugweg abweicht wird sofort darüber auf den sozialen Medien berichtet und in der Boulevard Presse kommentiert. Häufig erscheinen Bilder von Flugwegen die etwas darstellen. Kängurus, Hallo, Flugzeugumrisse, Namen, Tannenbäume oder der Weg des Weihnachtsmanns werden so verewigt. Die Bilder, wenn es keine Computer Konstrukte sind, zu fliegen ist mit GPS und Navigationscomputer kein Problem. In den USA sind hingegen sichtbare Himmelsschriften verbreitet. Mit Rauchspuren Werbung am Himmel zu zeichnen, sodass sie unter Berücksichtigung des Windes vom Boden aus lesbar ist, war früher anspruchsvoll. Der Schriftzug „Rosi“ in den achtziger Jahren war nicht etwa für die Freundin des Piloten sondern Werbung für das legendäre Unterhaltungs Imperium Rosie O’Gradys an der Church Street in Orlando Florida.
Vor Corona 400000 – heute 250000
Das ist der eindrückliche Rückgang von Angestellten der europäischen Airline Industrie von 2019 zu 2021 wegen dem dramatischen Einbruch der Passagierzahlen von 720 auf 270 Millionen (Quelle: Airlines for Europe). Luftverkehr ist anfällig auf Änderungen der Rahmenbedingungen, Krisen und staatliche Interventionen. Kleine Margen lassen wenig Reservebildung zu mit der Folge von Wellenbewegungen im Personalbestand um zu überleben. So gross war der Abbau weltweit aber noch nie und wir stecken bereits in der nächsten Krise. Ich bekam das bereits als Jungpiloten zu spüren. Die Schweizerische Luftverkehrs Schule reduzierte die Aufnahme und uns wurde vorausgesagt, dass wir zwanzig Jahre als Copiloten fliegen müssten. Die Fluglehrer in Vero Beach waren meist frei gestellte Airline Piloten die nur darauf warteten wieder eine Anstellung zu bekommen und ihr Flugtraining mit uns machten. Wir konnten von ihrem grossen Erfahrungsschatz profitieren. Und sie waren auch für Spass beim Fliegen zu haben. Die ersten Jahre im Flugdienst waren locker mit viel Freizeit wegen Überbeständen. Dann ging es plötzlich los mit neuen Destinationen und mehr Flugzeugen und bereits nach zwölf Jahren wurde ich in den Kapitän Kurs aufgeboten. In den neunziger Jahren kam die nächste Abbauwelle und auch Piloten wurden in Frühpension geschickt. Einige flogen in Thailand, China oder den Emiraten weiter. Kurz darauf kam die Gegenbewegung und Swissair holte Willige zurück mit administrativen Tricks da amtlich pensioniert eben eigentlich pensioniert ist. Für den Kanton Schaffhausen hatte es steuerliche Folgen. Das Pensionskapital dieser Piloten war wegen der langen Bezugszeit gross und einige wanderten temporär nach Spanien oder Thailand aus um das Kapital zu beziehen. Der Kanton reagierte und senkte die Steuern auf Kapitalbezüge von Pensionskassenkapital um sie hier zu behalten. Schaffhausen ist seither der zweitgünstigste Kanton nach AI und vor den sonst bekannten Steuerparadiesen. Die extremen Schwankungen im fliegenden Personal sind gefährlich denn es geht viel Knowhow und Erfahrung verloren im Cockpit und in der Kabine. Die Personalzeitung ist momentan voll mit Verabschiedungen. Mit Gaby, Ines, Ritchie, Ernst, Fredy, Jürg, Heidi, Sylvia auch Schaffhauser Kolleginnen und Kollegen. Kürzlich habe ich im Tram der Berner Verkehrsbetriebe folgenden Werbespruch für Bus- und TramführerInnen gesehen: „Früher war ich als Flugbegleiterin unterwegs, jetzt sitze ich ganz vorne im Cockpit“. Ob sie je zur Fliegerei zurückkehren wird ist fraglich. So wie das Box-Gesetz „they never come back“ Ausnahmen kennt kamen in der Vergangenheit bei Bedarf viele zurück weil die Fliegerei einem nicht loslässt. Während das Airline Personal europaweit um 38 Prozent abgebaut wurde sind nur 9 Prozent der Linienflugzeuge verschwunden. Geht es wieder los, die Reiselust steigt, müssten viele zurückkommen um alle Flugzeuge zu bewegen. Ob diesmal die Flugbegeisterung reicht bei den deutlich weniger attraktiven Anstellungsbedingungen und der grossen Krisenanfälligkeit wird sich zeigen.