Wie ein Flugbegleiter und Schriftsteller Piloten sieht und ein Eierwecker der Sicherheit dient.
„Im Verlauf der Jahre, nach ungezählten Gesprächen und Beobachtungen, ausgestandenen Krisen und geschafften Turnarounds, nach etlichen Abendessen in fremden Ländern, der einen oder anderen geleerten Flasche Wein und anschliessenden Besuchen in zweifelhaften Etablissements, muss ich zugeben dass ich komplett falsch gelegen habe: Piloten sind auch Menschen.“
Damit erklärte sich der damalige Flugbegleiter und Schriftsteller Sunil Mann, der zuvor die Welt hinter der Cockpittüre als zu fremd und eigen bezeichnete, vor zehn Jahren bereit seine Erfahrungen mit den Flugzeugführern in einem kleinen ABC zusammen zu fassen von Abflug über Quälgeist bis Zukunft.
„Flugzeug: Das zweite Zuhause.“ Trifft zu, die Fliegerei lässt einem nie mehr los aber man muss aufpassen, dass nicht anderes und Beziehungen zu kurz kommen. Im Flug oder Aufenthalt bekamen wir berührende Geschichten und Schicksale zu hören und als Kapitän mussten wir oft Seelendoktor Rollen übernehmen.
„Gepäck: Das Handling desselben wird von der Kabinenbesatzung gerne dem Cockpit überlassen. Die intensive Beschäftigung mit dem Smartphone findet dabei auf wundersame Weise genau in dem Moment ein Ende, sobald der letzte Koffer aus dem Bus gehievt ist.“ Das taten wir gern mit Ausnahmen. In Peking hatten wir eine Kabinenchefin die berüchtigt unbeliebt war. Besonders mit ihren weiblichen Untergebenen konnte sie böse sein. Weinende Kolleginnen mussten wir im Flug trösten nachdem sie von ihr mit ihrem Tick Toilettengang ständig schikaniert wurden. Als wir uns zur Erkundung Pekings bereit machten kam die Retourkutsche und sie erntete Häme von ihren Kolleginnen als sie es nicht schaffte das Mietvelo mit Stange zu besteigen. Am Abflugtag erschien sie mit diversen schweren Ballen auf dem Markt gekaufter Kleider und Seidenstoffe. Niemand half ihr beim Umladen und wir Piloten vertieften uns gefliessentlich in die Flugunterlagen. Schwitzend und wetternd lud sie ihre Stoffballen um.
„Lift: Bei amourösen Eskapaden an Aussenstationen findet im Lift der heikelste Teil der Operation statt. Unverhofft kann sich nämlich die Tür öffnen und eines oder mehrere Crew-Mitglieder betreten die Aufzugkabine. Der mit hochrotem Gesicht gestammelten Geschichte von der überraschend aufgetauchten, leicht bekleideten da mittellosen brasilianischen Nichte fehlt es leider oft an Glaubwürdigkeit.“ Kein Kommentar - ich billige Sunil gewisse schriftstellerische Freiheiten zu. Mein Lift Höhepunkt in Rio war die leider kürzlich verstorbene Olivia Newton-John die freundlich mit uns plauderte.
„Passagier: Zahlt unseren Lohn und weiss das auch.“ Meist sind sie ja nett aber es gibt schon welche die zu viel fordern von den Flight Attendants oder aggressiv werden. Wir sind vorsichtig geworden einzugreifen nachdem ein DC-10 Kapitän mit blutigem Gesicht und fehlendem Zahn zurückkam.
„Y–Chromosom: Im Cockpit immer noch eine Mehrheit“. Recht hat er und man kann die jungen Mädchen nur ermuntern den faszinierenden Piloten Beruf zu ergreifen.
„Zukunft: Wenn man dem Management Glauben schenkt seit Jahren düster. Für alle anderen Business as usual.“ Tatsächlich. Wenn es um Lohn und Arbeitsbedingung geht wird immer schwarz gemalt sodass wenn es wirklich heikel wird, wie im Moment, niemand es ernst nimmt. Der Indisch stämmige Berner Oberländer Sunil Mann hat sich mittlerweile ganz aufs schreiben spannender Krimis festgelegt und gibt in zwei Wochen in Schaffhausen eine Lesung.
Eierwecker für die Flugsicherheit
Die amüsante Beschreibung der Spezies Pilot und deren Alltag gibt einen Einblick in diese eigene Welt aber Beruf und Umfeld wandeln sich. Die Technik hat enorme Fortschritte gemacht. Der liberalisierte Luftverkehr hat dramatische Auswirkung auf Preise und Überleben der Airlines. Die Crew Aufenthalte sind kurz geworden und die Freitage dazwischen weniger. Beides hat Einfluss auf die Flugsicherheit. Kürzlich verschliefen zwei Ethiopian Airlines Piloten den Zeitpunkt den Sinkflug einzuleiten. Das darf nicht passieren, hat aber mit Arbeitsbedingungen und Vorschriften zu tun.
Ein langer Flug über den Nordatlantik gefolgt von einem Nachtflug zurück nach einer schlecht geschlafenen Nacht im Jetlag. Finsternis, Stille am Funk, kein Flugzeug kommt entgegen und dann in die aufgehende gleissende Sonne starren. Jeder Pilot kennt die Momente wo der Kopf „herunterzufallen“ droht. Wenn es beide zusammen trifft wird es gefährlich. Das zu vermeiden bedingt ein sorgfältiges Cockpit Management. Swissair hat deshalb vor Jahrzehnten, nach einem Zwischenfall der den Kapitän eine kurzzeitige Degradierung gekostet hat, den Ppower Nap eingeführt und erlaubt. Jeweils ein Pilot darf seine Batterien mit einem Kurzschlaf von maximal vierzig Minuten laden. Der andere zieht den Kopfhörer an und ist voll konzentriert. Um nicht in Tiefschlaf zu fallen wurde in jedem Flugzeug ein „Eierwecker“ im Instrumentenbrett installiert (links im Bild) der den Power Nap laut beendet. Aufmerksame Flight Attendants, auch sie müssen sich in ihrer Schicht wach halten, kommen zu diesem Zeitpunkt mit duftendem Kaffee ins Cockpit. Das Prozedere wurde eigentlich eingeführt wenn nur zwei Piloten an Bord sind. Mit der DC-10 flogen wir lange Strecken mit zwei vollen Cockpit Besatzungen. Nach dem Start um Mitternacht in Genf nach Rio und nach Erreichen der Reiseflughöhe schlief unser Kapitän unvorgesehen ein. In Anbetracht, dass es ein bekannt schwieriger Kollege mit eigenartigen Theorien war schauten sich der Flight Engineer und ich an, nickten uns zu und liessen ihn schlafen. Wir waren topfit und wussten drei Kollegen hinten im Ruheraum. Auf der Höhe von Dakar weckten wir ihn und fragten ob er auch mit uns nach hinten schlafen gehe, die Kollegen würden das Flugzeug übernehmen. Dasselbe Prozedere auf dem Rückflug, wir hatten unsere Ruhe und für ihn war es okay.
Es wurde in unseren langen DC-10-Aufenthalten übrigens die Geschichte herum gereicht, dass der erste Jumbo der in den Fernost flog vom Bombay-Kontroller gefragt wurde ob er nicht absinken und landen wolle. Die Piloten schliefen natürlich nicht sondern hätten gewartet bis man sie zum Sinkflug auffordern würde wie sie es gewohnt waren von ihren bisherigen USA-Flügen. Ich nehme zur Ehrrettung der 747-Kollegen an, dass das Piloten Latein war. Man hat sich halt schon geneckt. Sie hatten das grössere Flugzeug, mehr Räder, haben im Rollen auf uns herunter geschaut und waren in der Luft schneller. Aber wir stiegen dafür in Kloten gut gelaunt und braun gebrannt aus nach einer Woche Karibik oder zwei Wochen Südamerika oder Fernost während sie bereits zum zweiten oder gar dritten Nordatlantik Flug starteten.