Schneefall steht für Freude, Chaos und Gefahr

Geschrieben von Markus Müller

Wenn endlich Schnee fällt und erst noch hält, freuen sich viele. Auch Piloten freut es riesig beim Setzen der Startleistung, beim Airbus A330 immerhin 70000 PS unter jedem Flügel, den Schnee am Pistenrand in eine gewaltige weisse Wolke zu verwandeln. Die weisse rasch kleiner werdende Landschaft ist wunderschön ebenso wie die grosse weisse Weite mit dunklen Städte Tupfern unter den Flügeln nach Erreichen der Reiseflughöhe. Beim Anflug sieht die Landschaft in weiss ganz anders aus als ohne Schnee.

Die Stadt und die Klettgauer Dörfer heben sich kurz vor dem eindrehen auf die Pistenachse 14 in Kloten deutlich und kompakt von der weissen Umgebung ab. Die Faszination und Schönheit der Fliegerei beinhaltet auf der anderen Seite auch Gefahr, Erfahrung, Verlässlichkeit, Zusammenarbeit, Verantwortung und Einsatz am Limit von Mensch und Maschine. Das kommt bei Schneefall stark zum Ausdruck und bis man in die Luft kommt geht es hektisch zu und her und bedeutet Stress für alle Beteiligten. Die Pisten müssen vom Schnee gesäubert und die Flugzeuge von Schnee und Eis befreit werden. Das dauert und ein Chaos ist unvermeidbar mit Flug Annullationen. Vor dem Start wird die sogenannte Friction Koeffizient der Piste gemessen und an die Piloten übermittelt. Dieser Wert bildet die Grundlage für die Berechnung des maximalen Startgewichts und der zu setzenden Startleistung. Je schlechter der Koeffizient ist, umso länger ist die Bremsstrecke für einen immer zu berücksichtigten Startabbruch. Entsprechend kleiner wird das zulässige Startgewicht, also die Zuladung an Passagieren, Fracht und Treibstoff. Bei sehr kleinen Reibungskoeffizienten, Eisregen oder Nassschnee ist der Start verboten. Bei Langstreckenflügen kann es auch dazu führen, dass eine Zwischenlandung eingeplant werden muss um Kerosin nachzutanken und dazu zusätzliche Piloten aufgeboten werden müssen.
Schnee oder Eis auf dem Flugzeug  ist tödlich  
Ein absolutes Nein für einen Start ist, wenn sich Eis oder Schnee auf dem Flugzeug befindet denn es bedeutet akute Absturzgefahr. Es drohen drei hauptsächliche Gefahren. Das Profil von Flügel- und Steuerruder wird durch Schnee und Eis verändert. Damit stimmt die Aerodynamik nicht mehr und der Auftrieb ist nicht mehr gewährleistet um das Gewicht zu tragen oder das Flugzeug ist nicht mehr steuerbar. Das Flugzeug wird massiv schwerer durch Schnee und Eis auf den Tragflächen und dem Rumpf und kann nicht mehr abheben. Schliesslich können Eisstücke ins Triebwerk gelangen und dieses stark beschädigen sodass die Leistung nicht mehr ausreicht oder das Triebwerk sogar explodiert. Deshalb wird jedes Flugzeug vor dem Start, sobald auch nur kleinste Flächen von Schnee, Eis oder Frost entdeckt werden, enteist. Die Kontrolle, Akzeptanz und Verantwortung für den Start liegt allein beim Kapitän. Die Enteisung wird in zwei Schritten durchgeführt, entweder am Standplatz oder in einer Remote Area kurz vor der Startpiste. Zuerst wird das Flugzeug mit heissem Wasser von Eis, Schnee und Frost befreit. In einem zweiten Schritt wird die ganze Maschine mit einer Flüssigkeit eingesprüht gegen Eis- und Schneehaftung, je nach Hersteller und Zusammensetzung in grüner, blauer oder pink Farbe. Die Piloten sind mit dem Enteiserfahrzeug in Funkkontakt. In München hat dieser Funkkontakt nicht funktioniert und der Bodenmann hat den Telefonstecker zu uns für den Enteiser Vorgang gezogen. Es kam mir etwas lange vor und ich konnte den LKW nicht sehen. Das Fenster zu öffnen um nach hinten zu schauen war allerdings eine schlechte Idee. Genau jetzt richtete er das Strahlrohr aufs Cockpitfenster und ich bekam einen Schluck der zähen klebrigen Enteiser Flüssigkeit. In Kloten wird übrigens alles in einem separaten Abflussnetz aufgefangen und im Sommer mit Rasensprengern verteilt und biologisch abgebaut. Nach Abschluss der Dusche wird der genaue Zeitpunkt und mit was in welcher Zusammensetzung gespritzt wurde bekannt gegeben. Mit diesen Daten, der Temperatur und dem aktuellem Niederschlag wird die sogenannte Holdover Time berechnet, das heisst innerhalb welcher Zeit der Start durchgeführt oder sonst zurück an den Enteiser Platz gerollt werden muss. Dieses Problem hatte ich in Chicago. Bei leichtem Schneefall wurden wir am Standplatz enteist und erhielten die Rollfreigabe. Trotz der langen Reihe vor uns hatten wir mit acht Pisten, immer zwei parallel, ein gutes Gefühl. Bis es eben stark zu schneien begann und ein ausgewachsener Blizzard über Chicago hinweg fegte. Warten war angesagt bis Start- und Landepisten frei und enteist waren. Immerhin waren die Enteiser Trucks am Start bereit da bei diesem Schneefall rasch gestartet werden musste. Zu allem Übel drehte der Wind und das Pistenregime musste umgekehrt werden mitsamt der Enteiser Infrastruktur. Wieder acht Kilometer langsam rollen, mittlerweile als Nummer 125 für den Start. Da wir in weiser Voraussicht aus dem Wetterbericht zwei Tonnen zusätzlich getankt hatten mussten wir nicht zurück ans Gate zum nachtanken. Das hätte nämlich bedeutet, dass wir die maximal gesetzlich erlaubte Zeit im Zweimanncockpit überschritten hätten und den Flug streichen und zurück ins Hotel hätten müssen. Während der fast dreistündigen Rollzeit stellten wir zudem einen Motor ab um zu sparen.
Eis Warnung auch im Sommer
Einmal in der Luft ist die Gefahr nicht gebannt. Beim Durchfliegen von Schnee- und Regenschauern oder Wolken setzt sich auch im Sommer Eis an der Flügel Vorderkante, den Triebwerk Einlässen und den Strömungsmessinstrumenten an.  Zum Enteisen wird heisse Triebwerkluft abgezogen und in der Flügel Vorderkante und in den Triebwerk Einlässen durch kleine Löcher ausgeblasen. Am Rumpf angebrachte Strömungs-Messinstrumente werden elektrisch geheizt. Ein Versagen dieser Heizung führte zum tragischen Absturz von Air France 447 im Sommer 2009 im Südatlantik. Ebenfalls werden die Cockpit Fenster ständig geheizt um neben der Vermeidung von Beschlag die Scheiben Festigkeit zu erhöhen. Fällt die Heizung aus, muss die Geschwindigkeit reduziert werden. Man wundert sich wenn nach der Landung im Sommer am Flügel Frost festgestellt wird. Auf langen Flügen hat sich der Treibstoff in den Flügel Tanks stark abgekühlt und es setzt bei feuchter Luft Frost an. Auf langen Flügen über dem Nordatlantik droht in grosser Höhe bei extrem kaltem Wetter eine weitere Gefahr. Wenn die Aussentemperatur lange sehr tief ist kühlt sich das Kerosin in den Flügeltanks und im Leitwerk ab. Unter minus 45 Grad wird der Treibstoff dickflüssig und verstopft die Filter. Die Triebwerke würden abstellen. Es muss allerdings sehr kalt sein, da die Temperatur an der Flugzeughaut etwa dreissig Grad wärmer ist als die Aussentemperatur wegen der Reibung. Schneller fliegen, um eben diese Oberflächentemperatur zu erhöhen, kann helfen, sonst muss man absinken in wärmere Luftschichten.   

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