Nichts gelernt: Grounding wiederholt sich bei Bank

Geschrieben von Markus Müller

Vor genau vierzig Jahren sass ich zum ersten Mal am Steuer eines Passagier Jets. Zuerst absolvierten wir im Flugtraining in Malta etwa fünfzig Landungen auf der DC-9-32. Ein grosser Schritt zu fünfzig Tonnen Gewicht und grosser Fluggeschwindigkeit. Neben den Fluglehrern waren ein paar Mechaniker im Team deren Hauptaufgabe, neben der Bereitstellung und Betankung des Flugzeugs, das Wechseln der durch die vielen Landungen abgenutzten Pneus war. Nach den letzten Notfallübungen im Simulator ging es dann endlich mit Passagieren im Rücken los. Der erste Flug Zürich – Basel – Zürich war Stress pur. Kaum in der Luft, hiess es Checkliste abarbeiten, Wetterbericht am Funk abhören, Landung besprechen und das alles in knapp zehn Minuten. Dem Kapitän reichte es trotzdem locker für einen Kaffee, ich lehnte schwitzend ab.

Am Boden bleib nicht viel Zeit zum Verschnaufen. Es ging weiter nach Wien und zurück. Am zweiten Flugtag folgte die erste Übernachtung in Düsseldorf und die gefühlte Integration in der Crew. Ich sehe die Häschen in der Hotellobby immer noch, es war Osterzeit. Drei Jahre später folgte die Umschulung auf die MD-81. Mittlerweile waren wir erprobte Copiloten und flogen mit dem Fluglehrer gerade mal rasch nach Belfort. Jeder machte vier Landungen ohne das Flugzeug anzuhalten auf der Piste und zurück nach Zürich. Das Flugzeug war fünfzehn Tonnen schwerer und etwas moderner instrumentiert und eröffnete neue Destinationen im mittleren Osten und Afrika. Aufenthalte in Beirut, Damaskus oder Amman waren damals traumhaft. Immer noch hiess das pilotische Zauberwort „Scanning“. Ständig den Blick von Instrument zu Instrument wandern lassen um Flugzustand, Lage im Raum, Triebwerk und all die heute altertümlich anmutenden analogen Instrumente auf Unregelmässigkeiten zu checken sowie den Luftraum nach anderen Flugzeugen absuchen. Der Autopilot konnte gerade mal die Höhe und die eingegebene Flugrichtung halten, Windkorrekturen mussten von Hand gemacht werden. Die nächste Umschulung war die DC-10 in Shannon. Mit zwölf Landungen gewöhnten wir uns an die maximal 270 Tonnen. Das Flugzeug konnte automatisch landen und den eingegebenen Flugplan windkorrigiert abfliegen. Mit der MD-11 brach eine neue Ära an mit dem sogenannten Glascockpit. Keine analogen Instrumente mehr sondern alle Informationen auf Bildschirmen, digitale Fehleranzeigen und bei Ausfällen teilweise automatische Systemschaltungen. War bisher der Flight Engineer verantwortlich für das Pumpen des Kerosins vom einen in den andern Tank, geschah das fortan automatisch.
Neue sogenannte Fullflight  Simulatoren mit realistischem Landeverhalten und täuschend echter Sicht nach draussen erübrigen zunehmend das Flugtraining auf dem Flugzeug selber. Das Landetraining findet im Simulator statt und wird auf Passagierflügen abgeschlossen. Ausnahmen sind Jungpiloten auf einem grossen Jet, Kapitänskurse und wenn es günstiger ist, einen Fluglehrer mit ein paar Schülern irgendwohin zu schicken zum Landetraining als mehrere Fluglehrer bereit zu stellen fürs Training auf Linienflügen.  Letzteres bescherte mir das Flugtraining auf dem viermotorigen Airbus A340. Für uns alte Hasen mit über 15000 Flugstunden war es ein riesiger Plausch mit einem 150 Millionen teuren Flugzeug  in Chateauroux zusammen mit Quantas Kollegen auf einer A380 Runden drehen zu dürfen. Mein Fluglehrer, Klassenkamerad der Fliegerschule, kam auf die glorreiche Idee zu demonstrieren wie sich allfälliger Rauch aus dem Cockpit entfernen lässt mittels offenem Cockpitfenster. Mir war es recht, ich musste ja nur fliegen und landen während er die ganze Checklisten Büez und das Schreien am Funk hatte. Verstanden haben wir uns gegenseitig nämlich nicht mehr, der Lärm mit offenem Fenster bei 400 Km/h war derart gross.
Luxus über den Wolken
So enorm der Fortschritt von Flugzeugdesign, Antrieb, Cockpit und Energieeffizienz in der Verkehrsfliegerei verlaufen ist, so gross ist auch die Entwicklung im Passagierbereich. Im Moment wird wieder davon gesprochen, hoch über den Wolken Suiten und Lounges für gut betuchte Passagiere einzurichten. Die Bildschirme für jeden Passagier werden immer grösser und das Filmangebot enthält die neusten Kinohits. Vielleicht lohnt sich ein Blick zurück zum Halifax Absturz wo der Einfluss des Unterhaltungssystems nie ausgeschlossen werden konnte. Kommt dazu, dass die meisten lieber den eigenen Bildschirm vor sich haben und damit Internet weit wichtiger ist oder einfach ein paar Stunden ihre Ruhe wollen. Extravagante Möblierungen oder Suiten bringen Mehrgewicht, beanspruchen Platz der nicht verkauft werden kann, passen schlecht in die heutige Zeit und tragen wenig dazu bei sicher von A nach B geflogen zu werden. Die bekannte Stararchitektin Tilla Theus entwarf damals die Business- und Firstclass-Gestaltung und Möblierung der Swissair. Als besonderes Entgegenkommen an die Geschäftskunden schlug sie eine Bar vor in der MD-11 Firstclass-Kabine. Ich habe ihr als damaliger Engineering Chef aus Sicherheitsgründen die Auflage gemacht, die Barhocker müssten am Boden befestigt und mit Sitzgurten versehen sein. Sie war gar nicht begeistert aber gab die Idee auf, nachdem auch das Management nicht anders konnte, als sich hinter den Airline Grundsatz „safety first – Sicherheit zuerst“ zu stellen.
Schaffhauser Bescheidenheit
Ich habe Tilla Theus später in der Arbeitsgruppe zur Neugestaltung des Schaffhauser Kantonsratssaals wieder getroffen. Wir haben beide herzlich gelacht über die MD-11 Barhocker-Story. Ihre Vorschläge für den Ratssaal hätten keine Sitzgurten gebraucht und begeisterten uns im Ratsbüro. Leider war der Kantonsrat nicht dieser Meinung und traute sich in typisch Schaffhauserischer Bescheidenheit nicht ja zu sagen zu einem Projekt das dem Kanton gut angestanden wäre und Schweizweit Beachtung gefunden hätte wie das von ihr entworfene Fifa Gebäude und der Widder in Zürich. Bis heute werden in der Swiss Businessklasse (und bei mir Zuhause) Getränke in den von Tilla Theus entworfenen Gläsern, die oben markant enger sind als am Fuss, ausgeschenkt.     
Die Geschichte wiederholt sich
Beim Schreiben der Kolumne ist noch nicht im Detail bekannt, wie es mit der CS-Bank weiter geht. Es weckt aber dunkle Erinnerungen ans Swissair Grounding. Es gibt allerdings signifikante Unterschiede. Hauptdifferenz ist, die Kunden haben sich von der Bank abgewendet und sie so zu Fall gebracht, während sich die Passagiere zu Swissair und der Nachfolgefirma Swiss sehr loyal, verständnisvoll  und treu verhielten. Sowohl in den schwierigen Zeiten des Groundings, der Ungewissheit und im Neuaufbruch. In der Airline arbeiten alle hart bis zuoberst und auf allen Stufen mit sehr viel Selbstverantwortung und immer fokussiert auf die Flugsicherheit. Es wird nicht spekuliert und abgezockt und es werden keine exorbitanten Saläre und Boni verteilt. In der Airline Branche dreht sich alles primär um die Sicherheit der anvertrauten  Passagiere und des teuren Materials während es bei den Banken nur um das Geld von anderen und in den oberen Etagen vor allem um sich selber oder seinen nächsten Posten geht. Eines ist allen gemeinsam: Leidtragend ist das Personal mit normalem Salär und grossem Herzblut für ihre Firma und Versager kommen leider immer wieder irgendwo unter. Wir hätten uns damals die Hilfe der Grossbanken gewünscht. Die Rettung der Swissair wäre ein Pappenstiel und vielleicht besser angelegt gewesen für den internationalen Ruf der Schweiz gegen das, was bei der UBS vor ein paar Jahren und jetzt bei der CS abläuft.

 

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