Das Leben nach der Landung

Geschrieben von Markus Müller

Neben der faszinierenden Arbeit über den Wolken gibt es auch unvergessliche Erlebnisse am Boden. Als Airline-Crew die Welt zu bereisen gibt Einblick in andere Kulturen sowie die Gelegenheit, an nicht alltäglichen Veranstaltungen teilzunehmen und Leute kennen zu lernen. In der Pilotenschule weilten wir ein halbes Jahr in Vero Beach, was einen grösseren Einblick in Land und Leute ermöglichte.

Da ich zuvor in Florida als Ingenieur arbeitete, wurde ich von der Schulleitung beauftragt, einen Leitfaden zum Verhalten im tropischen Klima zu erstellen. Ich hielt unter anderem, heute in Afrika und Südamerika noch durchaus üblich, das Verhalten beim Anhalten durch die Polizei fest. Ich riet den Kollegen (Kolleginnen gab es noch nicht) in den damaligen gefalteten Schweizer Fahrausweis eine 20-Dollar-Note zu legen und dem Polizisten hinzustrecken. Das funktionierte meistens und das blaue Papier kam ohne Geldschein zurück mit Wünschen für eine gute Weiterfahrt, einer Ermahnung uns an die Vorschriften zu halten oder eine Erklärung für uns Ausländer. Unsere Autos verleiteten halt zu sportlichem Fahren. Ich reiste etwas früher an und besorgte typisch amerikanische Autos für unsere Klasse und sicherte mir selber einen 5,5-Liter Camaro. Dass die Zentralverriegelung nicht funktionierte, wurde mir zum Verhängnis. Auf der Heimfahrt, gut angezogen von einem Theaterbesuch, war mein schwarzer Wagen beim Halt am Rotlicht plötzlich von gleichfarbigen Männern umringt. Sie öffneten die unverriegelte Fahrertür, baten mich eher unsanft heraus, erleichterten mich von Bargeld, Uhr, Schuhen und Jacke und verschwanden. In Rio sagten mir später Einheimische, in so einem Fall würden sie einfach Vollgas geben; beziehungsweise sei es nachts in Rio am Rotlicht sowieso nicht ratsam, überhaupt anzuhalten.

Gezwungenermassen zum Kenner

Flugzeugbesatzungen kann man immer fragen, wo es auf der Welt gut und erlebnisreich zu essen gibt. Gezwungenermassen, denn wir müssen uns ja irgendwie verpflegen und da gerade früher die Aufenthalte sehr lang waren, erkundeten wir intensiv gute Lokale und tauschten uns aus. Bereits im gemeinsamen Briefing vor dem Flug, während der langen Reise, im Hotelbus oder im gemeinsamen Apéro in Rio im Atlantico, in São Paulo im «scharfen Eck», in Hongkong in der Rooftop Bar oder in Chicago zuoberst im John Hancock Center wurde das Esslokal bestimmt. Wir geben gerne kulinarische Tipps weiter. Altbundesrat Joseph Deiss hat sich auf einem Flug nach Johannesburg genaustens erkundigt, wie und wo wir unseren Aufenthalt verbringen. Wir empfahlen ihm unsere Lieblings-Fleischorte «Butchers» und «Bull Run». Auf dem Rückflug war er wieder an Bord, zeigte sich befriedigt von unseren Hinweisen und schilderte uns ebenfalls detailliert, wie er die Zeit verbrachte. In Bangkok entdeckten unsere schwedischen Kollegen das Suda. Ein einfaches, offenes Restaurant, auf den ersten Blick fast etwas schmuddelig, nur Einheimische und kein Wort Englisch. Es wurde zur beliebten Piloten-Beiz und mittlerweile geniessen dort viele Crews hervorragende und preiswerte Thai-Speisen. Ein beliebtes Restaurant wieder zu finden, ist nicht immer einfach. In Accra, der Hauptstadt von Ghana, wollten wir ins Home Kitchen. Schon ausserhalb der Hoteleinfahrt beichtete der Fahrer, er wisse nicht genau, wo es sei. Sofort bildete sich, wie in Afrika üblich, eine Menschenmenge um uns. Einer drängte sich vor, er müsse eh zur Arbeit in die Gegend und zwängte sich schon neben mich auf den Vordersitz. Ich zweifelte allerdings seine Ortskenntnisse stark an, als wir zum dritten Mal am selben Ort vorbei fuhren. Er gestand, er wisse ebenfalls nicht genau, wo wir hinfahren müssen. Mit eigener Erinnerung landeten wir schlussendlich am richtigen Ort. Der Taxifahrer gab sich mit der abgemachten Bezahlung zufrieden. Den Beifahrer liessen wir mit seinem lauten Protest stehen und ignorierten seine Forderung, ihm die Retourfahrt zu bezahlen, da sein Arbeitsplatz eigentlich in der Nähe des Hotels liege. Im Restaurant stiess er vom Nachbartisch aus immer lautere Drohungen aus bis ihn schliesslich unsere beiden Tiger (die begleitenden Polizisten) am Kragen packten und nach draussen beförderten.

Herrlich war die Belegschaft des Utalii Hotel & College in Nairobi, eine Hotelfachschule verschiedener afrikanischer Staaten, unter anderem von der Schweiz und Swissair unterstützt. Der Ehrgeiz der Lehrlinge war, allen das Essen zur selben Zeit zu servieren. Für die einen war es dann halt kalt oder das Falsche. Aber sie hatten jeden Kredit von uns. Die belgische Küche ist bekannt für Moules et frites. Da wir spät ankamen und die Beizen meist gut besetzt waren, beauftragten wir das Stationspersonal im Anflug über Funk, uns einen Tisch zu reservieren und bereits die Bestellung Miesmuscheln und Pommes frites aufzugeben.  

Kultur etwas grösser als bei uns

Nach der Landung ist die Arbeit beendet und es bleibt Zeit, Veranstaltungen von Sport bis Kultur zu besuchen oder Ausflüge zu machen. Als ich im Kantonsrat reklamiert habe, man solle endlich aufhören, Hunderttausende Steuerfranken in die Hallen für Neue Kunst des Ehepaars Raussmüller zu verlochen, wurde mir entgegnet, es sei eine wichtige Kunstausstellung für Schaffhausen mit Ausstrahlung bis nach New York oder Miami. Nur habe ich dort nie Spuren davon gesehen, im Gegensatz zu den faszinierenden Kunstevents in Miami unter dem Label «Art Basel». In Shanghai hatte ich das Glück, mit dem italienischen Komponisten, Dirigenten und Oscarpreisträger Ennio Morricone einen der ganz Grossen live zu erleben. Am Morgen landete ich die A340 von Zürich kommend. Nach ein paar Stunden Schlaf besuchte ich mit der Frau des damaligen Schaffhauser Wirtschaftsförderers die Weltausstellung. Für den Abend hatte er Tickets besorgt für das Konzert von Ennio Morricone. Nach der Eröffnung mit klassischer Musik, wo ich tatsächlich kämpfen musste, nach dem langen Flug, dem Ausstellungsbesuch und dem Jet Lag die Augen offen zu halten, brachte der 82-Jährige mit «Spiel mir das Lied vom Tod» und anderen Italowestern-Filmmelodien den riesigen Saal zum kochen. Es war ein faszinierendes Erlebnis, das riesige Orchester mit über 100 Philharmonikern aus Rom und Peking, geleitet vom quirligen Dirigenten im Frack, aus der vordersten Reihe hautnah zu erleben. Nach diversen Zugaben trat er von der Bühne ab, er könne nicht mehr.  

Die andere, traurigere Welt

Neben viel Schönem gibt es die andere Seite. Es ist beelendend, wenn man im Crew-Bus sitzt und die vielen Kinder sieht, die die Hände ausstrecken, um etwas zu bekommen oder auf ihren hungrigen Mund zeigen. Wenn sich beim Gang zum Flughafengebäude plötzlich eine kleine Kinderhand in die eigene schiebt, kann man nicht anders als ihr die übrig gebliebenen Münzen oder den Kugelschreiber zu überlassen. Crews leisten einen kleinen Beitrag und sorgen für etwas Freude, indem sie immer etwas dabei haben oder sich lokal engagieren. In Karachi, Pakistan, haben wir eine Teppichknüpferei besucht. Kinder an den Maschinen sind für unsere Generation ein unerträgliches Bild. Die Kinder haben uns aber angestrahlt, denn sie haben Arbeit, bringen etwas nach Hause und vermeiden Schlimmeres. Natürlich ist der grosse Verdienst im Hinterzimmer. Wir haben eingekauft in der Hoffnung, auch den Kindern zu helfen. Diverse wunderbare pakistanische Teppiche im Keller erinnern mich an die Kinderarbeit, die wir nicht verhindern können, wie sich gewisse Kreise bei uns vorstellen.

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