Bilder von langen Schlangen vor dem check-in Schalter und an der Sicherheitskontrolle in Kloten veranlassen Passagiere sich frühzeitig am Flugplatz einfinden. Dazu kommen personelle Überlastungen und Unterbesetzung an allen Ecken bis hin zu den Flugverkehrszentren Europas sowie Streiks der Fluglotsen und Bodendienste. Das alles hat Abflug Verspätungen von bis zu mehreren Stunden zur Folge. Verspätung – Delay - ist ein Reizwort in der Fliegerei. Es kostet die Airlines viel Geld und kann sich über längere Zeit auswirken wenn ein davon betroffenes Flugzeug die Verspätung über Tage mitschleppt. Bei den Passagieren löst es Ärger, Frustration und Aggression aus. Verkünden müssen die ungeliebte Botschaft die Piloten.
Erfahrungsgemäss stossen Verspätungen wegen Flugsicherheit, Nebel, Sturm oder Gewitter auf grosses Verständnis. Den Delay Gründen geht man sofort nach und je nach Ursache und Verschuldung kann es für Bodendienste Penaltys zur Folge haben. Der schwarze Peter wird deshalb oft herum geschoben, gerne zu den Piloten oder dem Kabinenpersonal da diese keine unangenehmen Nachfragen oder gar Folgen zu gewärtigen haben. Im Cockpit laufen alle Informationen zusammen und schlussendlich entscheiden die Piloten eigenverantwortlich, möglichst unbeeinflusst und unter strikter Wahrung der Flugsicherheit, ob der Flug stattfindet und wann er beginnt. Die Piloten wurden deshalb als unabhängige und unbestechliche Instanz bestimmt und geben den nach ihrer Ansicht zutreffenden Grund und Adressat für die Verspätung verbindlich vor dem Start via Textsystem weiter. Das kommt nicht immer gut an. Wir stellten bei der Flugvorbereitung einen defekten Navigationscomputer fest und verlangten ihn auszuwechseln. Nachdem die Mechaniker das falsche Modell brachten und nochmals ins Lager zurück mussten, zeichnete sich eine Verspätung ab. Ihr Vorschlag mit einem Computer loszufliegen lehnten wir ab und sendeten als Verspätungsgrund „technisch“. Kaum in der Luft kam die Meldung, die Technikabteilung wehre sich gegen den Vorwurf und sehe die Piloten als eigentliche Verursacher der Verspätung da der Flug mit nur einem Computer erlaubt gewesen wäre. Das stimmt und wäre erlaubt, aber nur sinnvoll für den Rückflug ohne Ersatz vor Ort. Vom Heimflugplatz so weg zu fliegen wäre schlechtes Airmanship. Kein Pilot würde riskieren auf dem zwölfstündigen Flug Probleme zu bekommen oder im Ausland hängen zu bleiben wenn der verbleibende zweite Computer ausfallen würde. Wenn die Türen geschlossen sind und der Flugkapitän übers Bordtelefon den Befehl „Yellow Door Selector Arm“, die Notrutschen armieren, durchgibt atmen die Bodendienste auf, übergeben die Verantwortung an die Besatzung und eilen zum nächsten Flugzeug. Das Kommando über Flugzeug, Crew und Passagiere liegt ab diesem Zeitpunkt, durch das Luftfahrtgesetz bestimmt, beim Kapitän. Wenn der Push Back Traktor das Flugzeug anhebt um es zurück zu stossen und die Bremsen gelöst werden lehnt man sich im Cockpit etwas zurück. Die Piloten entspannen sich aber erst richtig nach der hoch konzentrierten Startphase, wenn die Fahrwerke rumpelnd einfahren, die Häuser kleiner werden und der Autopilot eingeschaltet ist.
Mit mehr Kerosin schneller am Ziel
Auf einem Chicago Flug kam noch während dem Rollen zum Start eine Warnung die keinen Start erlaubte. Also zurück ans Gate – nur war das bereits wieder besetzt - und die Technik informieren. Auf einer freien Parkfläche das Hilfstriebwerk starten für die Stromversorgung und Kühlung, die Triebwerke abstellen und eine Treppe anfordern für die Techniker. Nicht vergessen die Armierung der Notrutsche aufzuheben, Nach über einer Stunde war das Problem behoben und alle Checks erfolgreich durchgeführt. Neues Problem war, dass auf dem langen Flug unsere maximale Duty Time ablaufen würde und eigentlich eine neue Besatzung aus der Reserve bestellt werden müsste. Im Cockpit beschlossen wir den Flug durchzuführen da wir uns gut ausgeruht fühlten. Wir sparten der Firma Umtriebe und Kosten und freuten uns auf Chicago. Wir tankten ein paar Tonnen Kerosin nach um anstatt mit den geplanten 82 Prozent mit 85 Prozent Schallgeschwindigkeit zu fliegen um etwas Verspätung aufzuholen. Sie hätten auch ein Wort mitzureden, meldete sich der Maître de Cabin. Ein paar Kolleginnen möchten sich auswechseln lassen. Nein keine Mitsprache, belehrten wir ihn. Wir flogen nämlich ausnahmsweise nach Chicago eine A340 die einen Ruheraum mit Betten hat und daher die maximal mögliche Flugzeit um Stunden grösser war als auf der sonst üblichen A330. Wir hatten zwar auch zwei Betten hinter dem Cockpit aber da wir nur zu zweit waren nützten sie nichts.
Wenn ein Bundesrat zu spät kommt
Verspätungen resultieren auch wenn Anschlusspassagiere erwartet werden. Sie sind wichtig für eine Hub Airline und werden oft mit einem Spezialtransport von Flugzeug zu Flugzeug gebracht. Sie kommen oft ausser Atem an und es ist ihnen fast peinlich von allen wartenden Passagieren zu Unrecht vorwurfsvoll gemustert zu werden. Hingegen ärgerte ich mich masslos über Passagiere die zu spät kommen weil sie es entweder zu gemächlich nehmen oder im Dutyfree oder in der Lounge hängen bleiben. Ich machte dann jeweils eine nicht sehr freundliche Ansage wir würden noch auf einen oder mehrere Passagier warten die zu spät eingecheckt oder sich verlaufen hätten oder irgendwo herum hängen. Am liebsten hätte ich sie stehen gelassen. Aber den Koffer suchen und aus Sicherheitsgründen ausladen hätte noch länger gedauert. Immerhin müssen über zweihundert Passagiere warten und wir verlieren allenfalls den Slot mit dem engen zeitlichen Abflugfenster. Die Spätankömmlinge, nach einer spitzen Bemerkung der Flight Attendants die Gesichtsfarbe auf rot wechselnd, einigen habe ich zwar wohl Unrecht getan, wurden dann von den Passagieren vorwurfsvoll gemustert beim suchen ihres Sitzplatzes. Das passierte auch einem Bundesrat. Wir waren Abflugbereit aber zwei Passagiere fehlten. Wir befürchteten den Slot zu verlieren und baten am Funk um Verlängerung aus Brüssel als wir informiert wurden die Beiden seien jetzt am Gate eingetroffen. Ich stellte mich zur (vorwurfsvollen) Begrüssung an die Tür. Der Bundesrat auf Privatreise schaute mit entwaffnendem Lächeln treuherzig zu mir auf, stellte seine prallen Plastiktaschen links und rechts auf den Boden, schüttelte mir die Hand und setzte zum Gespräch an. Da mahnte ihn aber seine um einen Kopf grössere Ehefrau von Hinten: „Fritz (Name geändert), lauf etz endli zue wemer scho tschpot sind“. Er zuckte die Schultern, nahm die Plastiktaschen wieder auf und nickte mir resigniert lächelnd zu.
Drohender Slotverlust
Leid getan hat mir ein älteres Ehepaar auf dem Johannesburg Flug das wir in Zürich stehen lassen mussten um die Verspätung und damit in den Nightban zu fallen zu vermeiden. Ein Flight Attendant meldete uns, eine Passagierin habe mit ihrem Mann ganz aufgeregt das Flugzeug verlassen, sie habe den Reisepass wahrscheinlich bei der Sicherheitskontrolle liegen gelassen. Uns war bewusst, dass nicht viel Zeit blieb da Zürich die Nachtflugrestriktion strikt handhabt und der Flug bei Verspätung erst am Morgen starten dürfte. Das würde heissen alle Passagiere im Hotel unterbringen, eine neue Crew aufbieten und das Flugzeug würde in Südafrika zudem fehlen. Wir liessen deshalb vorsorglich das Gepäck des Ehepaares im Laderaum suchen und neben dem Flugzeug deponieren. Das Bodenpersonal meldete uns der Pass sei noch nicht gefunden worden und gleichzeitig mahnte uns der Tower unser Slot würde bald verfallen einen neuen gebe es erst am Morgen. Wohl oder übel überreichte unser Kabinenpersonal das Handgepäck des Ehepaars dem Bodenpersonal worauf die Passagierbrücke weg fuhr, der Pushback Traktor unsere Nase anhob und das Flugzeug zurück stiess. Während wir die vier Triebwerke starteten nahmen wir in der kleiner werdenden Passagierbrücke winkende Personen wahr. Der Pass sei gefunden worden wurden wir über Funk informiert, ob wir zurückkommen und das Ehepaar mitnehmen könnten. Sie taten uns leid aber das hätte uns die Starterlaubnis vor Mitternacht gekostet. Sie würden halt erst am Folgetag zur Safari Gruppe stossen, nahm es der Reiseführer gelassen.