Wenn die Nacht zum Tag wird

Geschrieben von Markus Müller
Strasse von Hongkong

Langstreckenpiloten und Flight Attendants entwickeln ein spezielles, wenn nicht gar gestörtes Verhältnis zum bürgerlichen Tag-Nacht Verständnis. Die meisten Flüge finden während der Nacht statt. Einzig die Routen nach Nordamerika werden in ihrer ganzen Länge bei Tageslicht geflogen. Bereits die Heimkehr findet mehrheitlich in der Finsternis, bestenfalls bei Mondschein statt. Südafrika sowie die Heimkehr von Ost- und Zentralafrika unterliegen als reine Nord-Süd-Routen keiner Zeitverschiebung und entsprechen relativ harmlos einer Freinacht mit entsprechender (un)gesunder Müdigkeit.

Schwierig sind die grossen Ost-West-Routen Kalifornien und ferner Osten. Nach dem Start Richtung Bangkok oder Hongkong kurz vor Mitternacht kann man nicht mit einer langen Nacht rechnen, schon bald lichtet sich nämlich der Horizont und der Grossteil des Flugs findet in gleissendem Sonnenlicht statt über der Hitze Indiens, Bangladeshs und Thailands. Anders nach dem Abheben kurz nach Mittag Richtung Shanghai oder Tokyo. Schon nach wenigen Flugstunden bricht Dunkelheit herein. Ab jetzt sind wieder faszinierende Nordlicht Erscheinungen zu beobachten auf diesen Flugrouten hoch im Norden. Ist eine vermeintliche Sternschnuppe gar lange sichtbar, kann es sich auch um einen Raketenstart über Sibirien oder der Mongolei handeln. Kürzlich so im Doppelpack beobachtet von Shanghai zurück. Man fragt sich auch warum die am Boden um diese Zeit so viel Beleuchtung brauchen. Wenn Tageszeiten und hell-dunkel so „zunderobsi“ sind, ist die menschliche Biologie mit der Zeit recht durcheinander und Angehörige und Freunde wundern sich über unser zunehmend merkwürdiges Verhalten.

Einschub: Schaffhausen und seine Polizeistunde

Wieder tobt die Diskussion ob Schaffhausen seinen Bewohnern Bettruhe vorschreiben soll  und ihnen wieder die Polizeistunde nach nicht marktwirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Kriterien aufs Auge drücken soll. Politiker, Polizei und Verwaltung diskutieren, drohen und blasen zum Angriff auf das moderne Ausgangsverhalten. Oder die kuriose Beschränkung, dass Schweizer in der Nacht nur ein limitiertes Angebot an Lebensmitteln kaufen dürfen. Man lässt die rasch ändernde globalisierende Lebensweise ausser acht und übersieht, dass die weltweite liberale Welle immerhin als Geplätscher bei uns angekommen ist.  

Die Nacht zum Tag machen

Um den Stress ständiger Zeitverschiebungen, dazu Klima- und Temperaturänderungen von bis zu fünfzig Grad, langfristig für sich aber auch für Angehörige und Freunde erträglich bewältigen zu können, muss jeder sein eigenes Rezept finden. Vor Jahren haben mir, als Kapitän von der Kurzstrecke zurück in die ganz grosse Welt, meine beiden Copiloten eröffnet, man gehe nach dem Nachtessen in Hongkong ein paar Stunden schlafen um sich kurz vor Mitternacht wieder zu treffen. Zwei Mann ein Wort. So riesig die chinesische Metropole ist, so erstaunlich trifft man Kolleginnen und Kollegen oder kommt ins Gespräch mit anderen Airline Crews, Swiss Bankern oder Einkäufern des Schweizer  Detailhandels. Dabei verschiebt man sich mit U-Bahn, offenem Doppeldecker, Schiff und Taxi mit der praktischen aufladbaren Oktopussy Karte oder zu Fuss zwischen Jazz bei Nat Kelly, Gefrierfach Bar, Lounge hoch über der faszinierenden Stadt oder Amazonas und Dusk Till Dawn bei Rockmusik aus meiner Jugendzeit mit Filipino Bands. Dabei werden die Grenzen zwischen Lokal und Strasse in der warmen Nacht zunehmend fliessend. So um fünf meldete ich mich als erster aus der festfreudigen Gesellschaft ab. Mir wurde klar warum offenbar die junge Generation erst um Mitternacht in den Ausgang geht, mittlerweile auch in Schaffhausen, aber vor allem lernte ich das beste Rezept kennen um im Fernen Osten mit Jetlag und horrender Zeitverschiebung umzugehen. Mit diesem mir neuen Standardverfahren wie Flight Crews und eine riesige Ausländer Gemeinde sich mit der biologischen Uhr arrangieren lebt man nach Schweizer Zeit, macht die Nacht zum Tag und zu Hause ist man wieder präsent. Im Gegensatz die Rückkehr aus Kalifornien wo man tagelang neben den Schuhen läuft. Nun kann man sagen es gebe in Schaffhausen keinen Jetlag zu verarbeiten. Aber die grosse Welt schwappt auch zu uns. Was mich zum Vergleich bewegt ist, dass der Umgang mit neuen Verhaltensformen offenbar bei uns zu Problemen führt. Gerade Sicherheit ist im Far East kein Thema. Mann und auch Frau können sich nach Mitternacht problemlos auf der Strasse bewegen. Dass einem in Bangkok halt mal eine Unterarm dicke Ratte über den Fuss huscht nimmt man in Kauf. Auch die amerikanischen Städte haben enorm aufgeholt. In Manhattan, Chicago, Long Beach und Miami kann man sich zu allen Zeiten ziemlich sicher bewegen, ausgenommen spezielle Quartiere. Polizei und vor allem Gerichte funktionieren halt effizient. Anders Afrika und Südamerika. Nach der Dämmerung nur noch mit Taxi, aber auch nicht mit allen. Für kleine Verschiebungen zu Fuss werde ich für wenig Geld zum Freund des monströsen Türstehers,  ein sicherer Wert in seinem kleinen Reich. Lästig sind Polizeikontrollen. Unendlich lang inspizieren sie ID, Botschaftsempfehlung, Impfzeugnis und wieder von vorne bis der Geduldsfaden reist und unauffällig ein paar Dollar verschoben werden. Jetzt vor Weihnachten müssen es ein paar mehr sein. Die Wunschvorstellung wird auch klar geäussert inklusive Deklaration wie viele Kinder zu Hause warten.

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