Rauch, der grösste Feind der Piloten

Geschrieben von Markus Müller

Letzte Woche war am Horizont ein gelblich gräulicher Nebel zu sehen. Auf der Siblinger Höhe roch der Dunst deutlich nach Rauch. Ein Landwirt roch in seiner Scheune den Rauch  und meinte: «Da kann ich ja meine Rauchwürste draussen aufhängen.» Tatsächlich handelte es sich um Rauch von den Waldbränden im fünftausend Kilometer entfernten Kanada. Wäre er in einem Cockpit gesessen, hätte er kaum an Rauchwürste gedacht, sondern angespannt daran, woher der Rauch kommt. Rauch von Waldbränden ist oft wochenlang in grosser Höhe und weit vom Brandherd entfernt in Flugzeugen wahrnehmbar. Es wird zum Problem, wenn Ursache und Herkunft nicht eindeutig identifiziert und erklärt werden können. Bei Piloten läuten die Alarmglocken, wenn sie Rauch im Cockpit wahrnehmen,

aber trotz intensiver Suche und systematischer Abschaltung von technischen Systemen als mögliche Rauchverursacher den Grund für die Rauchentwicklung nicht lokalisieren können. Im Zweifelsfall heisst es absinken und die erste mögliche Landemöglichkeit anfliegen. Verdichtet sich der Rauch und wird die Ursache im Flugzeug angenommen, muss Sinkflug und Landung sehr rasch erfolgen. Vor fünfundzwanzig Jahren nahm die Crew auf dem Swissair Flug von Singapur nach Zürich kurz nach dem Start, aber bereits auf der Reiseflughöhe angelangt, Rauchgeruch wahr, dessen Ursprung sie nicht eruieren konnten. Sie entschlossen sich zur Umkehr und landeten nach fast einer Stunde Flugzeit wieder in Singapur. Im Nachhinein etwas unverständlich, weshalb sie in einem Warteraum wertvolle Zeit verloren, um Kerosin abzulassen, um das Landegewicht zu reduzieren, obwohl sie ein technisches Problem vermuteten. Beim MD-11 gehen beim Fuel Dumping
2,5 Tonnen pro Minute über Bord, während es beim Airbus viermal weniger ist und noch länger gedauert hätte. Die MD-11 wurde daraufhin tagelang untersucht und geprüft, ohne dass etwas gefunden wurde. Insbesondere keine Brand- oder Schmauchspuren. Schliesslich wies die ETH in den Luftfiltern der Klimaanlage eindeutig Rauch von Waldbränden in Malaysia nach. Damit konnte Entwarnung gegeben werden, was die Crew allerdings anzweifelte und den Technikern und Wissenschaftlern gar unterstellte, sie würden ein technisches Problem vertuschen, um die Besatzungen zu beruhigen. Es gipfelte darin, dass ein Pilot dem Engineering per Post einen toten Fisch schickte, mit entsprechendem Kommentar. Diese Empfindlichkeit und Verletzlichkeit war verständlich, passierte der Zwischenfall doch kurz nach dem tragischen Absturz der MD-11 HB-IWF bei Halifax. Piloten und Flight Attendants waren verständlicherweise sehr kritisch gegenüber diesem Flugzeugtyp, solange die Unfallursache nicht vollständig geklärt war.

Halifax prägt Swissair Piloten

Es sind mittlerweile genau fünfundzwanzig Jahre her seit dem Flugunfall, aber ich habe ihn immer noch ständig vor Augen. Ich vernahm die schockierende Nachricht in den CNN Nachrichten im Nightstop in London, bevor ich die Mails checkte. Ich versammelte die Crew und informierte über das, was bekannt war. Es herrschte grosse Betroffenheit. Fast alle hatten Bekannte in der Unglückscrew. Der Kapitän, ein erfahrener Kollege und Fluglehrer, hat mich auf zwei neue Flugzeugtypen umgeschult. Bedrückt flogen wir die ebenfalls grosse Anteilnahme zeigenden Passagiere nach Kloten. Nach der Landung begab ich mich als damaliger Engineering Chef unverzüglich ins einberufene Emergency Komitee. Natürlich übten wir immer wieder Rauch im Simulator. Wir schwitzten, riefen alles Wissen, Erfahrung und fliegerisches Können ab und kämpften gegen das Beschlagen der Sauerstoffmasken. Nach abarbeiten der Checklisten war das Feuer entweder gelöscht oder der Rauch so weit abgezogen, dass man landen konnte. Rauch aus dem Rauchgenerator im Simulator, den man jederzeit anhalten kann oder Rauch im Flugzeug, das immer weiterfliegen muss– das ist ein dramatischer Unterschied. Nach dem tragischen Unfall vom 2. September 1998 mussten wir unser fliegerisches Weltbild betreffend Rauch im Flugzeug komplett ändern. Feuer kann eben nicht immer lokalisiert und gelöscht werden wie im Simulator und es bleibt extrem wenig Zeit für die Landung. Die Untersuchungsergebnisse der kanadischen Untersuchungsbehörden, der Hersteller und unserer eigenen technischen Experten und Piloten wurden rasch umgesetzt und flossen ins Training ein. Unsere MD-11 wurde mit Erkenntnissen aus dem Unfallbericht fast völlig neu gebaut: neue feuerresistentere Isolationen, neue Verkabelungen und elektrische Absicherungen, zusätzliche Feuer- und Rauchwarnungen mit Löschmöglichkeiten. Das weltweit modernste Passagier-Unterhaltungssystem, als möglicher Verursacher des Kabelbrands vermutet, wurde ausgebaut. An kritischen und unzugänglichen Stellen wurden Bleistiftkameras eingebaut, die am Bildschirm im Cockpit abgefragt werden konnten. Die MD-11 wurde damit technisch zum wohl sichersten Flugzeug. Umso grösser ist die Enttäuschung, dass sie als Passagier-Flugzeug verschwunden ist.

Puls und Emotionen gehen hoch

Seit Swissair 111 ist die Sensibilität für Rauch enorm gestiegen und auch nach einem Vierteljahrhundert nicht kleiner geworden. Der Kanada-Rauch wird sicher Bestandteil der Wetterinformation vor dem Flug sein, um auf allfälligen Geruch vorbereitet zu sein. Potenzielle Brandherde wie Triebwerke, Frachträume, Avionik Raum oder Bremsen sind gut überwacht und können wirksam vom Cockpit aus gelöscht werden. In der Kabine sind Handfeuerlöscher angebracht. Der Umgang damit wird von den Crews «heiss» geübt in jährlichen Auffrischungskursen. Mein einziger Rauch-Schreckmoment war über Sibirien auf dem Flug nach Tokyo. Plötzlich stiegen links von mir Rauchschwaden auf und es roch nach Elektrorauch. Nach ein paar Schrecksekunden war der erste Gedanke «Halifax», der zweite, wie weit es zum nächsten Flugplatz ist. Es war zum Glück nur der portable Bordcomputer, der heiss war, bereits Blasen bildete im Kunststoff und stark rauchte. Der hartnäckige Geruch musste jedem beunruhigten Flight Attentat, der besorgt ins Cockpit kam, erklärt werden. Rauchgeruch in der Bordküche haben die meisten hingegen schon wahrgenommen. Meist entpuppt es sich als im Ofen vergessenes Gipfeli. Öfters geht auch die penetrante, im ganzen Flugzeug zu hörende Rauchwarnung in der Toilette los. Die empfindlichen Sensoren stellen auch den Raucher, der den Kopf in die WC-Schüssel hält und die Spülung betätigt, bloss. Der kurze Zug an der Zigarette wird ziemlich unangenehm und teuer, da die anvisierte Polizei bereits an der Flugzeugtür auf den Raucher wartet. Eine schlussendlich falsche Rauchwarnung hatten wir im Hotel in Los Angeles. Nach zwölf Stunden Flugzeit, neun Stunden Zeitverschiebung und einem Schlummertrunk mit der Crew wurde ich im Tiefschlaf durch die durchdringende Rauchwarnung aufgeschreckt. Pass und Fluglizenz ergreifen, in die Hose springen und die Nottreppe hinunter eilen. Die Lobby war voller Hotelgäste in zum Teil abenteuerlicher Bekleidung. Dann kam Entwarnung, falscher Alarm, zurück ins Zimmer. Kaum eingeschlafen, erneute Rauchwarnung. Diesmal ohne Pass und Fluglizenz und im Pyjama nur noch bis zur Nottreppe. Rasch kam Entwarnung über die Lautsprecher. Als zum dritten Mal der schrille Pfeiffton erklang, streckte ich lediglich schnuppernd den Kopf auf den Gang hinaus. Mein Gegenüber nickte, ich nickte zurück, alle Köpfe zogen sich ins Zimmer zurück – wir beschlossen einander auf unserem Stock zunickend, es sei falscher Alarm. Am andern Tag musste ich, meine Verantwortung wahrnehmend, diejenigen Crew-Mitglieder, die im Bett blieben, ermahnen, mindestens eine erste Warnung ernst zu nehmen.

 

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