Flugbegleiter mixen nicht nur Drinks

Geschrieben von Markus Müller

Der Ausdruck «ein Brett vor dem Kopf haben» ist mir letzten Donnerstag beim Bleigiessen der «Schaffhauser Nachrichten» in den Sinn gekommen und ist durchaus anwendbar im Cockpit. Das Publikum benannte die Figuren aus grosser Distanz klar. Für die Teilnehmer, nahe am Objekt und unter Erwartungsdruck, war es schwieriger. Sie taten sich schwer und sahen Figuren, die aus der Ferne ganz anders gesehen wurden. Das lässt mich den Vergleich zum Pilotieren eines Flugzeugs machen. Wenn man selbst am Steuer ist, ganz nahe an den vielen Instrumenten und Bildschirmen sitzt, unter Druck ist und die Verantwortung trägt, ist es viel schwieriger, Abweichungen zu erkennen und zu lösen, als wenn man mit Abstand hinter den Piloten sitzt. «Am Steuer ist man viel dümmer als wenn man von hinten zuschaut»

, lautet die treffende Feststellung jeweils im Simulator, wenn man als Beobachter oder Fluglehrer hinter den beiden schwitzenden Piloten sitzt. Wann sehen sie das Problem und lösen es endlich so, wie man es von hinten, eben mit Abstand, tun würde, fiebert man mit. Ich erinnere mich, immer noch peinlich berührt, an eine Simulator Übung in der Umschulung auf MD-11. Sie fand im damals noch angeflogenen schwierigen Flughafen «Kai Tak» in Hongkong statt. Der hinter uns sitzende Fluglehrer liess beim Start ein Flügeltriebwerk ausfallen. Wir reagierten wie gelernt, brachten das Flugzeug in die (vermeintlich) richtige Konfiguration und flogen die vorher besprochene «One Engine Out Route», den extra für den Notfall mit stark reduzierter Steigleistung vorgegebenen Flugweg zwischen Hügeln und Hochhäusern aufs Meer hinaus ab. Irgendwie stieg die schwere Maschine beunruhigend schlecht und sank bei Richtungsänderungen sogar, obwohl beide verbliebene Triebwerke maximale Leistung lieferten. Da klopfte uns der Fluglehrer grinsend auf die Schultern und zeigte auf den Fahrwerkhebel. Wir hatten tatsächlich vergessen, das Fahrwerk einzufahren. Man konnte ihm die Genugtuung deutlich ansehen, dass das genau uns beiden passierte. Mein Kollege links war Cheffluglehrer DC-10 und designierter Cheffluglehrer MD-11 und ich Technischer Pilot DC-10 und designierter Technischer Pilot MD-11. Mit rotem Kopf Fahrwerkhebel hinauf und das Flugzeug – zum Glück nur der Simulator auf seinen Hydraulikstelzen – stieg ohne diesen Luftwiderstand trotz maximalem Startgewicht problemlos auf die Minimalhöhe, um Kerosin abzulassen und die Landung zu planen. Die Augen nahe an den Instrumenten, fliegen in schwierigem Gelände, Kommunikation mit dem Fluglotsen, mit etwas zu viel Selbstsicherheit gedanklich schon einen Schritt voraus, hatten wir offenbar plötzlich das berühmte Brett vor dem Kopf und vergassen den Fahrwerkhebel. Simulator-Training, Drill, Teamarbeit und, ganz wichtig, ständiges gegenseitiges Hinterfragen soll das im Flugzeug mit Passagieren an Bord vermeiden. Was immer passiert, der Hauptauftrag bleibt, das Flugzeug in der Luft zu halten.

Den Hauptauftrag nie vergessen

Der wichtigste Auftrag der Flight Attendants ist nicht wie oft angenommen die Passagiere zu bedienen und zu verwöhnen, sondern für ihre Sicherheit zu sorgen. Eine Schaffhauser Flight Attendant setzte nach dem kürzlichen Zusammenstoss zweier Flugzeuge in Japan «Flight attendants don’t just pour drinks – they also save lives» mit einem Bild des Flammeninfernos auf ihren WhatsApp-Status. «Flugbegleiter schenken nicht nur Getränke ein – sie retten auch Leben». Wie Recht sie hat. Es war eine gewaltige Leistung der japanischen Flight Attendants, alle Passagiere lebend aus dem brennenden Flugzeug zu bringen. Vor jedem Flug machen Piloten und Kabinenpersonal ein gemeinsames Briefing, was in Notfällen zu tun ist. Unzählige Male ging es mir darum, ob ein perfekter Service und die ganze Nacht wach bleiben, um den letzten Passagierwunsch zu erfüllen, wichtiger ist als die Notverfahren blindlings zu kennen, sowie ausgeruht, fit und bereit zu sein für den hoffentlich nicht eintretenden Notfall bei der Landung nach 13 Stunden Flug. Die Anweisung, den Bordservice einzustellen und sich zu setzen wegen erwarteten Turbulenzen obwohl das warme Essen bereits teilweise serviert ist, wird spätestens verstanden, wenn das Schütteln so richtig losgeht. Auf einem Europaflug in den 80er-Jahren, als noch Essen serviert wurde, machten wir die Standardansage, dass wir in zehn Minuten in Zürich landen werden als Aufforderung, die Küche aufzuräumen und alles zu sichern. Ziemlich bestimmt wurden wir von der Kabinenchefin aufgefordert, in den Warteraum einzufliegen; sie würden jetzt noch Kaffee servieren. Wir schauten einander verdutzt an und wiesen sie in noch etwas bestimmteren Ton an, die Tassen sofort wieder einzusammeln und sich für die Landung bereitzuhalten. In der Nachbesprechung erklärte sie uns, sie seien vom Abteilungschef Flight Attendant und Geschäftsleitungsmitglied informiert worden, wie wichtig ein guter Service für die Firma sei. Dies müsse wenn nötig den Piloten klar gemacht werden. Besagter Chef war bekannt dafür, dass er Piloten nicht besonders mochte und lieber eine antiautoritäre Arbeitsweise im Flugzeug hätte. Völlig unrealistisch in der Fliegerei, gerade in Notsituationen, wo die Hierarchien klar sein und Befehlen Folge geleistet werden müssen. Das hätte der Schaffhauser aus seiner Erfahrung als ehemaliger Kommandant eines Schaffhauser Füsilier Bataillons eigentlich wissen müssen. Es wurde dann rasch klargestellt, dass guter Passagier-Service wichtig ist, aber Sicherheit und Pünktlichkeit erste Priorität haben.

Horrorszenario auf der Landebahn

Beim Start oder bei der Landung plötzlich ein Flugzeug vor sich auf der Piste zu haben, ist ein absolutes Schreckszenario. In dieser Flugphase ist man nur bedingt oder gar nicht fähig, auszuweichen. 1971 stiess in Wien eine bei dichtem Nebel startende Swissair DC-9 mit einer zweimotorigen Beech Baron zusammen, die unerlaubt auf die Piste rollte. Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder des Jets kamen trotz brennendem Flügel und gebrochenem Fahrwerk mit dem Schrecken davon. Der Pilot der Propellermaschine überlebte allerdings nicht. Zum Glück enden die wenigsten Zwischenfälle, wo sich ein Flugzeug unerlaubterweise oder vom Fluglotsen fälschlicherweise erlaubt auf der Piste befindet, in einer Katastrophe wie in Wien, Teneriffa oder Japan. Meistens wird die Gefahr von den Piloten erkannt und sie können den Start oder die Landung abbrechen. Schwierig ist es bei dichtem Nebel, wenn Anweisungen des Lotsen nicht oder falsch befolgt werden oder das andere Flugzeug nicht technisch ausgerüstet ist, um es auf dem Bordradar zu sehen. Es gibt Situationen, in denen ausweichen nicht mehr möglich ist. Ich erlebte eine solche in Malabo, einer Insel in Westafrika. Wir setzten unsere A330 auf und gaben Umkehrschub, als unvermittelt ein Militärfahrzeug auf die Piste einbog und uns entgegen fuhr. Mit ausgefahrener Schubumkehr hatten wir keine Möglichkeit, wieder in die Luft zu kommen und bei fast 300 Stundenkilometern reichte die Distanz nicht, um die 180 Tonnen abzubremsen. Wir befürchteten, das Fahrzeug mit dem Triebwerk oder dem Fahrwerk zu erwischen mit 30 Tonnen Treibstoff in den Flügeltanks. Mein Co-Pilot sagte nachher, er habe die Augen geschlossen. Ich steuerte gegen den Pistenrand, aber viel Platz blieb nicht. Das Militärfahrzeug passierte nach Passagieraussagen unter dem Flügelende. Das Militär beantwortete die Rapporte folgendermassen: Der Flugplatz gehöre ihnen und sie könnten ohne Bewilligung auf die Piste fahren. Später mussten wir auf demselben Flugplatz beim Rollen zum Gate eine Vollbremsung machen, weil ein Mann mit ausgebreiteten Armen auf uns zurannte. Er klammerte sich dann ans Fahrwerk. Diesmal lautete die Antwort, der Mann sei behindert und in der Regel habe man ihn im Griff, aber es würde Unglück bringen ihn vom Flugplatz zu entfernen. Voodoo lässt grüssen. Nicht nur Flug- und Fahrzeuge sind eine Gefahr auf der Piste, sondern auch verlorene Teile, Hunde, Rehe, Vögel oder Menschen. In Afrika führt die kürzeste Fussgängerverbindung oft über die Piste. Wenn Vögel oder Vogelschwärme touchiert werden, gilt der erste Blick den Triebwerkinstrumenten. Im Landeanflug Bukarest erwischten wir einen grossen Vogel mit der Scheibe des Co-Piloten. Er übergab mir das Steuer, da er kaum mehr hinaussah.

Anhänge:
Diese Datei herunterladen (über den Wolken 1-24.pdf)über den Wolken 1-24.pdf136 KB
Kategorie: