Alte Flugzeuge und Piloten – besser als neue und junge?

Geschrieben von Markus Müller

Alte Flugzeuge sind besser als neue und alte Piloten sind besser als junge? Diese Frage mag eigenartig klingen. Flugzeugseitig hat sie mit der Komplexität Verkehrsflugzeug zu tun und mit dem zeitlichen Druck, neue Flugzeuge fast ab Reissbrett verkaufen zu müssen; ohne lange Streckenflugerprobung.

Das mag ein Faktor sein für diverse Probleme der neuen Flugzeuge von Boeing. Ein weiterer Faktor ist die Arbeitsqualität. In den USA gibt es gute Ingenieure, aber keine eigentlichen Facharbeiter mit einer Berufslehre wie bei uns. Beim Flugzeughersteller McDonnell Douglas habe ich erlebt, wie bei fehlenden Bestellungen Leute von einem Tag auf den anderen entlassen wurden. Sobald die Fluggesellschaften wieder bestellten, wurden die benötigten Arbeiter, oft ohne jegliche Ausbildung und Erfahrung, für anspruchsvolle Montagearbeiten von der Strasse geholt und angelernt. Die Montage von Hecktriebwerk und Seitenleitwerk übrigens draussen wegen fehlender Hallenhöhe. Swissair hatte ständig ein Team von Mechanikern in Long Beach, um den Bau ihrer Maschinen zu überwachen. Akribisch wurde die Position jeder Niete nachgemessen. War sie nicht korrekt, musste sie ersetzt werden. Im offenen Flügel mussten unsere Leute Znüni-Tüten, Getränkeflaschen und halb gegessene Hamburger einsammeln. Ein weiteres Problem der nicht fachkundigen Arbeiter ist, dass die Montage von Leitungen und Komponenten oft nicht gemäss Konstruktionsplänen gemacht wird. Unsere Techniker stellten das bei Überholungen oder Modifikationen mit Mehrarbeit fest. Während der Untersuchung des Absturzes SR111 und im Nachhinein bei der Überprüfung der MD11-Flotte kamen unzählige Varianten von verlegten Elektrodrähten – einige hundert Kilometer – zutage, die von den Plänen abwichen. Gute Airlines müssen damit umgehen: mit Kontrollen, eigenem Unterhaltsbetrieb und exaktem Meldewesen.

Kinderkrankheiten im Flugbetrieb

Ich habe diverse Neueinführungen von Flugzeugen erlebt und aktiv begleitet, da die damalige Swissair oft sogenannter «Launching Carrier», also Initiator und Erstkunde des Flugzeugmodells war. Dabei hat sich gezeigt, dass die Einführung eines neuen Flugzeugtyps wesentlich einfacher und problemloser ist, wenn erfahrene Airlines mit ihren Ingenieuren und Piloten frühzeitig im Entwicklungsprozess involviert sind und nicht nur Ingenieure und Testpiloten der Herstellerfirmen. Erstere sind oft Technikfreaks und bauen Features ein, die wenig mit der Praxis im Linienbetrieb und ständig wechselnden Flugbesatzungen zu tun haben. Die Werkspiloten haben in der Regel keine Airline-Erfahrung und kommen oft aus der Militärfliegerei, wo anders geflogen wird als mit dreihundert Passagieren hinter sich und man notfalls einen Schleudersitz hat. Meine Erfahrung ist, dass nach etwa drei Jahren Einsatz im Linienverkehr die wesentlichen Kinderkrankheiten eines Verkehrsflugzeugs erkannt und behoben sind. Meist sind es Probleme, welche die Flugsicherheit nicht beeinträchtigen und mit Modifikationen gelöst werden können, aber Piloten doch recht fordern und zu Verspätungen oder sogar Flugannullierungen führen. Es gibt aber auch Konstruktionsfehler, die nach vielen Betriebsjahren erst zufällig oder wegen einem Zwischenfall zu Tage kommen. Auf der MD11 ist nach einem Start eines der drei Hydrauliksysteme ausgefallen. Eigentlich kein Problem, da alle Hydraulikbezüger durch mindesten zwei unabhängige Systeme bedient werden. Das verbleibende Hydrauliksystem reichte in dem Fall nicht, um die «Slats», die Vorflügel, bei der aktuellen Fluggeschwindigkeit an beiden Flügeln einzufahren. Die Auftriebshilfen für den Langsamflug blieben am linken Flügel draussen, während die Klappen am rechten Flügel einfuhren. Preisfrage: Rollte das Flugzeug nach rechts oder links und warum? Die erste richtige Antwort bekommt eine Flasche Wein. Die Querschnitte der Hydraulik-Zylinder aller Flugzeuge wurden zur Behebung vergrössert. Bei einer A310 fiel nach dem Triebwerkstart in Tel Aviv ebenfalls ein Hydrauliksystem sowie die betroffene Parkbremse aus und das Flugzeug begann zu rollen. Die Piloten versuchten vergebens, es mit der Fussbremse anzuhalten. Sie stellten die Triebwerke ab und steuerten in ihrer Not das Flugzeug vom Rollweg ins Gras, wo es ohne Schaden zum Stillstand kam. Vom Chefpiloten wurden sie für ihre Reaktion gelobt. Allerdings hätten sie nur den Feststellbremshebel lösen müssen und das Bremssystem hätte funktioniert. Aber wer denkt im Stress schon an so etwas, was in keinem Handbuch steht? Ein Konstruktionsfehler, der auf unsere Intervention behoben wurde.

Pilot als Troubleshooter

In modernen Flugzeugen wird enorm viel aufgezeichnet und viele Daten und vor allem Abweichungen treffen bereits im zuständigen Unterhaltsbetrieb ein, während das Flugzeug noch in der Luft ist. Man wundert sich dann im Cockpit, wenn Fragen aus dem Borddrucker rattern betreffend gesendeten technischen Abweichungen, die für die Piloten nicht einmal sichtbar waren. Das ist mir passiert nach einem Blitzschlag in Johannesburg. Das Kontrollcenter Zürich wollte von uns Triebwerkdaten, es sei ein Triebwerkaussetzer aufgezeichnet worden. Das wurde uns von den trägen Instrumenten nicht angezeigt. Es war bekannt, dass sich Triebwerk Nummer zwei im Flugzeugschwanz bei einem Blitzschlag kurzfristig verschlucken kann, was die Elektronik als Triebwerkaussetzer aufzeichnet aber die Drehzahl- und Druckinstrumente nicht anzeigen. Wichtig sind die Beobachtungen der Piloten über Unregelmässigkeiten, weil sie die Zusammenhänge sehen und dem Mechaniker, der sich dem Problem nach der Landung annimmt, schildern können. Das kann neben dem akribischen Eintrag ins Logbuch zu einem längeren Austausch zwischen Pilot, Mechaniker und allenfalls herbeigezogenen Technikern führen. Auch wenn die Techniker ein Flugzeug als flugtüchtig und sicher entlassen, hat der Kapitän das letzte Wort, ob er es akzeptiert oder als fluguntüchtig zurück weist. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mechanikern und Ingenieuren ist letztendlich entscheidend für die sicherere Flugoperation. Es darf durchaus auch etwas Spass dabei sein. So hat der Mechaniker in Bangkok nach dem vorgeschriebenen umfangreichen Check nach einem Vogelschlag im Anflug ins Logbuch geschrieben: «Vogelschlag Inspektion durchgeführt – keine Beschädigung gefunden – Vogelfamilie informiert».

Alte und Junge gemeinsam stark

Werden gut gewartete Flugzeuge mit zunehmendem Alter zuverlässiger, so werden Piloten, je länger sie fliegen, erfahrener. Das heisst nicht, dass sie besser sind, aber es gibt Momente, wo die Erfahrung zählt. Deshalb sind eine gute Mischung und das Zusammenbringen von Erfahrung, fliegerischem Können, Wissen, Ideen, Entschlossenheit und Führung enorm wichtig. Das wird mit dem vor Jahren eingeführten Crew Ressource Management (CRM) konsequent geschult. Das heute in der Fliegerei weltweit etablierte CRM geht auf die Erkenntnis zurück, dass trotz enormen technischen Fortschritts die Flugsicherheit nicht besser wurde wegen menschlichem Versagen und mangelnder Zusammenarbeit der Crew. Mit der Einführung von CRM wurde aus den Einzelkämpfern im Cockpit mit den allmächtigen vier streifigen Kapitänen ein erfolgreiches Cockpit-Team mit dem Resultat einer signifikanten Abnahme von Flugunfällen. Es ist durchaus üblich, dass in schwierigen oder gar Notsituationen der junge Co-Pilot mit Anweisungen des Kapitäns fliegt und der erfahrene Kapitän die Checklistenarbeit macht, die Kommunikation mit den Bodenstellen und der Kabinenbesatzung aufrechterhält, den Überblick behält und so seine grosse Erfahrung einbringt. Früher war es eher umgekehrt und der Kapitän machte alles, zurückführbar auch auf das Training, wo den Kapitänen mehr abverlangt wurde als den Co-Piloten. Noch in der DC10-Umschulung sagte uns der Fluglehrer alter Schule, wir Co-Piloten würden einfach fliegen, der Flight Engineer arbeiten und die Kapitäne denken und entscheiden. CRM ist zunehmend ein Thema in Spitälern und für Chirurgie-Teams und wird unter Beizug vom CRM-Piloten Instruktoren eingeführt. Die Herausforderung ist im Cockpit und im Ärzte-Team ähnlich. Das wurde auch in Schaffhausen erkannt, wie ich anlässlich einer Besichtigung des Kantonsspitals feststellen konnte. Die Checklisten in der Notfallstation erinnerten mich stark an die Arbeit im Cockpit.

 

 

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