In der letzten Kolumne stellte ich eine Preisfrage: Wenn die Auftriebshilfen am linken Flügel draussen bleiben, rollt das Flugzeug nach rechts oder links und warum? Es sind diverse Antworten eingegangen, keine war richtig. Es kann rein geometrisch erklärt werden. Bei ausgefahrenen Vorflügeln – «Slats» – ist die Flügelprofilsehne flacher als im eingefahrenen Zustand und damit Anstellwinkel und Auftrieb kleiner. Der Flügel senkt sich, während der andere mehr Auftrieb hat. Das Flugzeug rollt also nach links. Das ist auch der Grund, warum beim Ausfahren der «Slats» der Pilot die Flugzeugnase deutlich anheben muss, um den Anstellwinkel zu halten.
Für die Kabinenbesatzung ist das unangenehm, da sie den Berg hinauf laufen müssen. Um das auszugleichen, werden meistens gleichzeitig die Landeklappen am hinteren Flügelende ausgefahren, welche den gegenteiligen Effekt haben.
Bleiben wir bei der Aerodynamik. Gemäss einem Video in den Medien ist am Samstag eine Edelweiss A340 nach dem Abheben gesunken und hat die Piste nochmals kurz berührt. Das ging haarscharf an einer Katastrophe vorbei mit einem schweren, vollgetankten Flugzeug. Die Piloten hatten keine andere Wahl als in die Luft zu gehen und zu hoffen, das Flugzeug fliege. Ein Start-abbruch war nicht mehr möglich ohne über die Piste hinauszuschiessen. Als Grund wurde plötzlicher Rückenwind genannt. Die dadurch abrupt abnehmende Geschwindigkeit gegenüber der Luftmasse genügte nicht mehr, um die Höhe zu halten beziehungsweise zu steigen, und die einzige Möglichkeit war wohl, abzusinken, um Geschwindigkeit aufzuholen. In Bodennähe ein kritisches aber unvermeidbares Unterfangen.
Windscherungen sind gefürchtet, vor allem in der Start- und Landephase, und können nicht immer vorausgesagt werden. Es gibt zwar Detektoren für solche unvorhergesehenen Phänomene: Eine künstliche Stimme ruft «Windshear, Windshear» und weist die Piloten an, Vollgas zu geben und am künstlichen Horizont mit der Flugzeugnase dem gerechneten Signal zu folgen. In Bodennähe und speziell beim Start fehlt die Höhe um Geschwindigkeit, welche das Flugzeug am Fliegen hält, aufzuholen und man kann nur hoffen, dass die Triebwerkleistung reicht und die Windscherung nur kurz ist.
Technik kann auch Tücken haben
Im nächtlichen Anflug auf Genf hatte es einige Gewitterzellen, es war böig und regnete in Strömen. Der Tower meldete, voranfliegende Piloten hätten stark ändernde Winde gemeldet, was uns dazu bewog, die Anfluggeschwindigkeit zu erhöhen, um allfälligen Windscherungen vorzubeugen. Die Pistenlampen tanzten in der Cockpitscheibe durch das von Böen durchgerüttelte Flugzeug und verschwammen im schnellen Hin und Her der Scheibenwischer. Der Autopilot hatte sich schon lange abgemeldet und auch die Triebwerkautomatik hatten wir ausgeschaltet, da sie laufend von Vollgas zu Leerlauf wechselte. Und dann kam diese eindrückliche Windshear-Warnung, die uns wohl rettete aber bis heute in schlimmster Erinnerung blieb.
Wir folgten den Anweisungen im künstlichen Horizont, draussen sahen wir eh fast nichts mehr, die Gashebel waren schon längst im Anschlag und wir atmeten erst auf, als das Flugzeug wieder mit stabiler Geschwindigkeit stieg. Der zweite Anlauf bei etwas beruhigtem Wetter mit noch mehr Geschwindigkeitsreserve gelang. Wir waren uns nicht einig im Cockpit, ob wir die Bodenlichter so verdammt nahe gesehen hatten. Es wurde uns aber von Passagieren bestätigt und ein Tankstellenwart in der Nähe der Pistenschwelle erschrak, weil er meinte, wir würden bei ihm landen.
Technische Warnsysteme, die eine Gefahr vor unseren Sinnesorganen sehen und richtige Anweisungen geben, sind hilfreich. Zum Beispiel bei Annäherung gegenüber dem Terrain oder anderen Flugzeugen. Wären die Piloten dem Instrument gefolgt, wäre die tragische Kollision bei Überlingen vermeidbar gewesen. In den Medien wurde kürzlich über falsche GPS-Signale, welche Flugzeuge von ihrer Route wegleiteten, berichtet. Das Problem besteht offenbar und Airlines informierten ihre Piloten über fast tägliche Zwischenfälle weltweit und über den Umgang damit. Als die Satellitennavigation vor ein paar Jahren zur primären Datenquelle für die Navigation genommen wurde, war klar, dass mit Störungen und Abschaltungen gerechnet werden muss. Speziell wenn die Satellitenbetreiber in Konflikte involviert sind.
Sichtflug hiess früher, im Winter oder bei Nebel nicht zu fliegen. Das Betreiben eines dichten Netzes von Sendestationen wie früher «Trasadingen» machte die Navigation zuverlässig und weitgehend wetterunabhängig. Über dem Meer oder Wüstengebiet kam der Navigator zum Einsatz, der die Position mit den Sternenbildern bestimmte – deshalb das Fenster oben im Jumbo. In der Luftverkehrsschule lernten wir noch Astronavigation, berechneten mit dem «Almanach» und mit trigonometrischen Formeln Positionen, obwohl wir kein Flugzeug mehr fliegen würden mit Astronavigation. Mit der DC-10 wurde die Trägheitsnavigation eingeführt, die navigatorisch unabhängig machte. Jede Flugzeugbewegung um extrem schnell drehende raumstabile Kreisel herum werden mit empfindlichen Beschleunigungsmessern gemessen und Rechner bestimmen mit den gespeicherten Navigationsdaten die Position. Ganz exakt ist diese Navigation nicht. Nach einer Nordatlantiküberquerung konnte man schon einmal zehn Kilometer daneben liegen, was aber korrigiert wurde, sobald man die erste Bodenstation empfing. Mit der Einführung der Satellitennavigation wurde die Trägheitsnavigation als Primärnavigation abgelöst. Aber im Hintergrund bleibt sie wie auch die Funkfeuer – bei einem GPS-Ausfall oder einem falschen Signal übernimmt sofort das unabhängige Bordsystem oder der Empfänger von Bodensignalen. Die mechanischen Kreisel wurden mittlerweile durch nochmals genauere und wartungsfreie Laser-Kreisel ersetzt.
Kriege beeinflussen Flugverkehr
Die Abschaltung oder Verfälschung von Satellitensignalen zeigt eine Abhängigkeit. Weitere Abhängigkeiten bestehen von nur noch zwei Herstellern von Grossraumflugzeugen, wenigen Herstellern von Avionik und Triebwerken, Erdöllieferanten, Überflugrechten oder Servicebetrieben. Die zivile Luftfahrt mit ihrer enormen technischen Entwicklung, mit ihrer grossen Kapazität, ihrer grossen Reichweite und nicht zuletzt ihrem grossen Sicherheitsstandard ist andererseits abhängig und zu einem grossen Teil auf die Rüstungsindustrie zurückzuführen. Amerikanische Linienflugzeuge sind meistens auf vom Staat bezahlten Luftwaffenprojekten aufgebaut. Die Boeing 747 etwa war ein Transportprojekt der Armee, was in den spartanischen Cockpits sichtbar ist. Die Entwicklung war bezahlt und das Flugzeug konnte sich deshalb lange auf dem Markt behaupten, da es keine Konkurrenz zum selben Preis hatte. Erst mit Airbus, wo die Entwicklung aber auch von den beteiligten Staaten bezahlt wird, erwuchs der amerikanischen Flugzeugindustrie ernsthafte Konkurrenz.
Im aktuellen Konflikt in Russland zeigt sich auch die Folge der technologischen Abhängigkeit. Moderne Flugzeuge sind mehrheitlich westlicher Bauart und kommen nicht ohne amerikanische Komponenten aus. Ersatzteile werden nicht mehr nach Russland geliefert. Dort wird deshalb erwogen, die Wartungsintervalle und die Lebensdauer von Bauteilen zu verlängern oder sogenannte «Bogus Parts» zu verwenden. Diese gefälschten, nachgebauten oder abgelaufenen Ersatzteile sind kaum unterscheidbar und eine grosse Gefahr für die Flugsicherheit.
«Bogus Parts» werden aber auch sonst verwendet, um Kosten zu sparen. So sind alle Betriebe in der Schweiz aufgerufen, solche Teile sofort dem Luftamt zu melden. Seriöse Unterhaltsbetriebe haben eine strenge Kontrolle über eingesetzte Ersatzkomponenten und Teile. Wir wurden hie und da ungeduldig im Ausland, bis der Mechaniker alle Seriennummern exakt eingetragen hatte und wir und die dreihundert Passagiere im Rücken möglichst rasch in die Luft wollten. Aber large Firmenkultur, bewusster Einsatz nicht zugelassener billiger Teile und Korruption sieht man dann in den Unfallberichten.