Fliegen findet in der Luft statt und nicht am Boden

Geschrieben von Markus Müller

Offenbar bedeutet die Fliegerei immer noch grosse Faszination. Fast täglich erscheint ein Medienbericht über ein Ereignis in Zusammenhang mit Flugzeugen über oder unter den Wolken. Darunter viele Belanglosigkeiten, Übertreibungen und Berichte die in die Sparte Fliegerlatein gehen. Jeder Passagier hat das Handy bereit wenn ein Triebwerk etwas Feuer speit und die vielen Plane Spotter am Pistenrand hoffen das Bild der Bilder zu machen. Alles wird sofort in die sozialen Medien gestellt oder der Boulevard Presse mitgeteilt. Das grosse Interesse und die Emotionen sind verständlich.

Fliegen ist für alle erschwinglich geworden, wird viel genutzt, aber man ist den Beiden ganz vorn im Cockpit völlig ausgeliefert. Passagiere können ihren Flug aber unbesorgt antreten. Statistisch zählen Flugreisen zu den sichersten Fortbewegungen. In der Regel sind es zwei gut ausgebildete, gut trainierte, auf Geist und Körper regelmässig getestete Pilotinnen und Piloten in einer gut gewarteten Maschine. Aber man sollte nie vergessen, dass man sich in drei Dimensionen bewegt und Wetter und Extremsituationen ganz anders ausgeliefert ist als auf dem Boden. Im Auto oder Autobus kann man anhalten, in der Eisenbahn die Notbremse ziehen und vom Velo absteigen. Das Flugzeug aber muss weiter fliegen, was immer auch passiert, bis eine Landung möglich ist. Und eine Landemöglichkeit ist oft verdammt weit weg. In Europa ist die Flugplatzdichte gross, nicht über dem Atlantik oder der Wüste.
Immer Notlandemöglichkeiten planen aber oft weit weg  
Es gibt klare Vorschriften in welcher Entfernung man ständig eine Notlandmöglichkeit haben muss. Die Distanz ist mit zunehmender technischer  Zuverlässigkeit von den Luftfahrtbehörden von einer Flugstunde auf bis zu vier Stunden erhöht worden womit viel direkter geflogen werden kann. Auch zweistrahlige Jets haben dadurch, solange sie die geforderte technische Zuverlässigkeit nachweisen können im Rahmen der sogenannten ETOPS (Extended-range Twin-engine Operations Performance Standards) Operation kaum noch Einschränkungen und können fast überall eingesetzt werden. Alle geplanten Flugplätze müssen landbar sein betreffend Wettervorhersage, Pistenzustand und Infrastruktur. Wenn beispielweise in Reykjavik ein Grossbrand ist und Löschfahrzeuge vom Flugplatz benötigt werden, ist der Flugplatz nicht mehr planbar weil die für die Landung eines Grossraumflugzeugs vorgeschriebene Anzahl Löschfahrzeuge fehlt. Ein Ausweichflugplatz kann sehr weit weg sein wenn ein Problem oder Ereignis eintritt das eine möglichst rasche Landung erfordert. Auf dem Flug nach Sao Paulo meldete der Maître de Cabin wir hätten einen medizinischen Notfall, eine Ärztin würde sich dem bereits annehmen. Ich traf dann in der hinteren Küche eine am Boden gelagerte ältere Dame an die von einer jungen brasilianischen Ärztin betreut wurde. Diese forderte mich auf unverzüglich zu landen, es gehe um Leben und Tod. Ich erklärte ihr das dauere halt drei Stunden da nur Wasser unter uns sei. Ich meinte die am Boden liegende Dame blinzle mir zu und sprach sie an. Das im Dirndl gekleidete Mitglied einer Bayerischen Reisegruppe bekam zunehmend Farbe und erklärte sie sei aufgeregt umgestiegen, habe nichts gegessen aber wohl etwas geistiges getrunken gegen die Flugangst und sei dann eben weggetreten. Meine Entwarnung wollte die Ärztin so nicht akzeptieren und bestand auf eine möglichst rasche Landung. Kraft meines Amtes entzog ich ihr die Verantwortung und überliess die wieder ziemlich muntere Patientin der fürsorglichen Betreuung unserer Kabinen Crew. Beim Aussteigen bedankte sie sich überschwänglich. Es sei ihr so peinlich und sie sei dankbar dass wir keine Zwischenlandung gemacht hätten.
Es gibt keine Luftlöcher aber trotzdem immer anschnallen
In letzter Zeit wird öfters über Turbulenzen, kürzlich sogar mit einem Todesfall und Verletzten, berichtet. Es wurde geschrieben das Flugzeug sei in ein Luftloch geraten und habe in drei Minuten 6000 Fuss (1800 Meter) Höhe verloren. In meinen über 18000 Flugstunden habe ich noch nie ein Luftloch angetroffen. Heftige Turbulenzen hingegen schon. Es gibt starke Auf- und Abwinde, turbulente Luftmassen, Windscherungen aber bestimmt keine Luftlöcher. Der geschilderte Höhenverlust ist nichtsagend. Die  Sinkgeschwindigkeit im normalen Sinkflug ist oft deutlich grösser. Turbulenzen oder unerwartete Abwinde können dramatische Folgen haben. Nicht angeschnallt wird man aus dem Sitz gehoben und kann mit dem Kopf hart auf die Decke treffen und diese sogar durchschlagen. Turbulenzen in Wolken oder gewitternähe sieht man auf dem Radar oder draussen. Von sogenannter Clear Air Turbulance (Turbulenzen in klarer Luft) kann man in schönsten wolkenlosen Wetter überrascht werden. In 11000 Meter Höhe weht nicht der Föhn sondern Windgeschwindigkeiten bis 400 Stundenkilometer können enorm turbulent sein. Über Hollywood (Bild) gab es einen Knall, der Autopilot hatte sich abgemeldet und unsere DC-10 hatte 40 Grad Schieflage hinter einem Alitalia Jumbo, verursacht durch seine wake turbulence (Wirbelschleppe). Solche plötzliche Phänomene werden sofort den Kollegen in der Nähe und der Bodenstation gemeldet. Wichtig ist immer anschnallen und es ist verboten Kinder oder Gepäck vor sich auf den Boden zu legen.
Wieder Vollgas geben immer gute Lösung
Ebenfalls letzte Woche wurde über eine ziemlich ruppige versuchte Landung einer United Maschine in Kloten berichtet. Auf dem Video sieht die Landung sehr hart aus und das Flugzeug springt wieder in die Luft bevor die Piloten Vollgas geben, die Landung abbrechen und eine Zusatzrunde fliegen. Der sogenannte „Go Around“, Durchstartmanöver, wird im Simulator geübt und ist ein sicheres Flugmanöver um aus einer nicht optimalen Situation für eine sichere Landung zu kommen. Während es für Piloten Routine ist, ist es für Passagiere und Flight Attendants, insbesondere wenn sie keine Sicht nach draussen haben, unangenehm und sogar Angst machend wenn die Triebwerke plötzlich aufheulen und das Flugzeug steil steigt und man in den Sitz gedrückt wird. Als Jungpilot auf DC-9 hatten wir viel Training im Durchstarten. Grund war, dass man in Nebellagen die Piste nicht sehen konnte, ohne Blindlandemöglichkeit den Anflug abbrechen musste und entweder etwas warten und nochmals versuchen oder einen Ausweichflugplatz anfliegen musste.
Für eine sichere Landung muss vieles stimmen
Eine Landung wird als unsicher beurteilt wenn der Anflug zu schnell oder zu hoch ist. Im virtuellen Gate, 100 Meter über Grund, müssen Geschwindigkeit, Höhe und Sinkrate stimmen und die Motoren nicht mehr im Leerlauf sein um ein sofortiges Durchstarten zu ermöglichen. Stimmt ein Parameter nicht sollte ein Go Around eingeleitet werden. Es gibt Gründe, dafür ist man schliesslich Kapitän, das nicht zu tun. Diese müssen aber dem Sicherheitsbeauftragten der die Piloten aufgrund der systematischen Auswertung der Datenaufzeichnungen kontaktiert erklärt werden. Der Zürcher Flughafen ist für das Geschwindigkeitsmanagment nicht einfach. Die beiden hauptsächlichen Landepisten 14 und 16 sind mit dem Standard Anflugwinkel für grosse Jets von drei Grad unproblematisch. Bei starkem Westwind oder während den von Deutschland einseitig angeordneten Landeverbotszeiten auf diesen beiden Pisten während der Nacht und am Sonntag muss auf den Pisten 28 und 34 gelandet werden. Beide Pisten haben einen Anflugwinkel von 3.3 Grad zudem ist die Piste 28 kurz. Drei Zehntel Grad steiler tönt nach wenig. Aber mit einem schweren Grossraumflugzeug wird es schwierig die Fluggeschwindigkeit auf die vorgeschriebene Landegeschwindigkeit hinunter zu bringen. Etwas steiler und etwas schneller als vorgesehen hat zur Folge, dass das Flugzeug anstatt zu landen über der Piste weiter schwebt und die Landung lang wird. Passagiere haben dann das Gefühl es war eine schöne sanfte Landung und klatschen. Aber eigentlich war es gefährlich und hätte ein Durchstartmanöver erfordert. Die United Piloten haben im etwas „abverheiten“ Anflug auf eben Piste 28 mit dem Go Around sicher richtig reagiert.        

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