Wir warteten neben einer Alitalia Maschine in Mailand auf die Rollfreigabe zur Startpiste und mussten ein Air France Flugzeug abwarten das sich von links näherte. Kurz vor dem Alitalia Flugzeug bremsten die französischen Kollegen ab, öffneten das Cockpitfenster und der Pilot entrollte eine französische Fahne. Mit wehender Flagge rollten sie dann vorbei und senkten die Fahne vor der Alitalia Maschine grüssend. Am Vortag wurden die Franzosen Europameister mit einem Golden Goal in der 103. Minute gegen Italien.
Faszinierende Augenweide
Wir mussten lachen ab dem kleinen nationalen Intermezzo, die italienischen Kollegen fanden es wahrscheinlich weniger lustig. Sollte unsere Nationalmannschaft Europameister werden hat sicher der eine oder andere Swiss Pilot eine Schweizer Fahne dabei. Beide Symbole italienischen Nationalstolzes sind mittlerweile gegroundet. Die Fussball Mannschaft am Samstag von der Schweiz und die Airline vor ein paar Jahren durch langjährige Misswirtschaft. Die Fussballmannschaft wird wieder aufstehen mit neuen Leuten. Es geht schliesslich nur um Sport und Unterhaltung. Für die Airline Angestellten ging es hingegen um die Existenz. Ich habe eine italienische Crew in der Hotel Lobby in Sao Paulo getroffen als wieder einmal das Geld ausging und sie nicht wussten ob sie nach Hause fliegen können. Wir haben, aus unserer bitteren Grounding Erfahrung heraus, versucht sie zu trösten und Mut zuzusprechen. In Brasilien erlebte ich übrigens den echten Fussballsport als faszinierende Augenweide. In den Pärken und am Strand tschutten die jungen Ballkünstler aus Freude am Fussball. Sie denken nicht an Transfers und Gagen sondern höchstens wie sie zu Turnschuhen kommen können oder am Abend genügend zu essen haben.
Starkregen lehrte uns Jassen
Starkregen bestimmt im Moment unser Wetter. Die durch viel Regen und warme Temperaturen rasch wachsende üppige Vegetation erinnert zunehmend an tropische Länder. Nur dass dort mehr Farbe drin ist als das von Bundesbürokraten verordnete Einheitsgrün und Braun. Der vermehrt auftretende starke Regen beschäftigt auch die Fliegerei. Diese findet bei jedem Wetter draussen statt. Solch extreme Wetterlagen wie sie bei uns im Moment herrschen kannten wir früher allerdings fast nur an tropischen Destinationen und nur selten in unseren Breitengraden. Intensiver Regen wirkt sich direkt auf die Flugoperation aus. Beim Beladen des Flugzeugs ist es unangenehm und verzögert, das Startgewicht muss allenfalls reduziert werden, der Start selber wird beeinträchtigt, im Flug muss Regenzellen ausgewichen werden, Anflug und Landung können schwierig oder sogar verunmöglicht werden. Vor ein paar Tagen wurden technische Einrichtungen und damit der Flugverkehr in Genf durch Regen lahmgelegt. Das erinnert mich an einen ungeplanten langen Barcelona Aufenthalt. Es war ein strenger Flugtag. Genf – Barcelona – Genf – Oslo. In Barcelona, bei noch schönem Sommerwetter, kauften wir im Dutyfree Shop Wein ein für die lange nördliche Sommernacht. In Oslo traf sich die ganze Besatzung am Fjord. Wir Piloten brachten den Wein, die Kabinencrew stellte ein Essbuffet am lauschigen und um Mitternacht immer noch hellen Ufer zusammen. Am anderen späten Nachmittag Tag ging es zurück nach Genf und nochmals nach Barcelona mit Übernachtung. Es war vorbei mit schönem Wetter. Die Voraussage war düster und es wurde sogar in Betracht gezogen den Flug zu streichen. Die Planung schickte uns dann trotzdem los aber mit genügend Kerosin um notfalls zurück nach Genf fliegen zu können. Schüttelnd und rüttelnd, immer wieder von Blitzen hell erleuchtet und die Piste nur knapp sichtbar im nieder prasselnden Regen gelang die Landung irgendwie.
Es schüttete wie aus Kübeln
Das Flugzeug konnte mit Umkehrschub und dank dem Antiblockiersystem zum Anhalten gebracht werden. Die Kollegen brachten die Maschine wieder in die Luft während sich unser Crewbus durch die zum Fluss gewordene Strasse ins Hotel pflügte. Beim Morgenessen kam dann die Meldung, der Flugplatz stehe unter Wasser, es gehe nichts mehr und wir würden nicht fliegen. Am zweiten Morgen die gleiche Meldung und am dritten nochmals. Am vierten Morgen hiess es wir sollten uns bereithalten vielleicht könne der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden. Es gab dann nochmals eine Übernachtung bis zum Abflug am anderen Tag. Zum Glück hatte jemand Jass Karten dabei. Wir jassten stundenlang und lernten wahrscheinlich so alle Jass Arten kennen die es gibt. Die spanische Gastronomie konnten wir trotzdem ausgiebig geniessen. Am Tag schüttete es wie aus Kübeln, am Abend war es trocken und das Wasser floss ab in der Hotel Umgebung, während es am Flugplatz gleich neben dem Meer liegen blieb, sodass wir die Restaurants in der Umgebung erkunden konnten im Wissen am Morgen ausschlafen zu können bis zur nächsten Jass Runde. Das damalige Fehlen von iPhones förderte den Crew Zusammenhalt extrem und machte den Aufenthalt unvergesslich.
Startgewicht reduzieren
Wenn bei Starkregen mit Aquaplaning gerechnet werden muss, wird das maximal erlaubte Startgewicht massiv reduziert. Es ist nicht der Start an sich sondern die Möglichkeit, dass etwas passieren könnte, sei es ein Triebwerkausfall, ein Vogelschlag oder ein Pneuplatzer und der Start mit einer Vollbremsung abgebrochen werden müsste. Dieser Fall muss in jeder Startberechnung abgedeckt werden und reduziert je nach Pistenlänge, Wind und Temperatur das zulässige Startgewicht massiv. Das heisst Fracht oder sogar Passagiere ausladen oder weniger Treibstoff tanken und eine Zwischenlandung planen. Fracht oder Passagiere stehen lassen ist nicht beliebt. Deshalb wurde früher bei vorhergesagtem Starkregen eine Cockpit Crew in Lissabon positioniert für Karibik Flüge oder in Moskau für Fernost Flüge. Wenn dann in einem Wetterfenster ein Start mit Volllast und Direktflug durchgeführt werden konnte, genossen die beiden Piloten den Ausgang und setzten sich am andern Tag in den nächsten Linienflieger. Der Start selbst ist abgesehen von den vom Triebwerkstrahl erzeugten imposanten Wasserfontänen unspektakulär. Wegen der schlechten Sicht muss man mit der Steuerung einfach stur die starken Lampen der Pistenmittebefeuerung zwischen den Beinen behalten und sich nach dem Abheben sofort an die Instrumente halten. Anders bei Anflug und Landung. Automatische Instrumentenlandungen sind bei starkem Regen meist nicht möglich weil in tropischen Ländern die Technik fehlt und in Europa nicht benutzt werden kann weil Wind und Turbulenzen dafür zu stark sind. Man muss schlussendlich die Anflug Beleuchtung und die Pistenlampen ununterbrochen sehen um die Landung sicher durchführen zu können. Bei starkem Regen mit hoher Anfluggeschwindigkeit reicht der Scheibenwischer oft nicht um eine genügende Sicht zu ermöglichen. Die Scheibenwischerblätter tanzen zwar wie verrückt vor den Augen, liegen aerodynamisch bedingt nicht sehr gut an und die Sicht bleibt stark eingeschränkt.
Scheibe blähte sich auf
Eine Möglichkeit zur Verbesserung ist das Rain Repellant System. Eine Flüssigkeit wird auf die Scheiben gesprüht welche regenabweisend wirkt indem das Wasser zu grossen Tropfen zusammengezogen und weggeblasen wird. Die Cockpitscheiben sind übrigens beheizt. Einerseits gegen Vereisung und andererseits um der Scheibe höhere Festigkeit zu geben. Wenn die Heizung ausfällt muss die Fluggeschwindigkeit in Bodennähe reduziert werden wegen Vogelschlag. Die erhöhte Temperatur ist deutlich fühlbar. Wie stark die Heizung ist habe ich am Boden in Brüssel erfahren. Durch einen technischen Defekt liess sie sich nicht stoppen. Die Scheibe des Copiloten blähte sich auf und wurde immer dicker bis wir die richtige Sicherung fanden und zogen. Der Flug musste gestrichen und ein neues Fenster eingeflogen werden. Der Grund dafür war, dass das Fenster nicht mehr geöffnet werden konnte was zwingend nötig ist da es als Notausstieg für den Piloten dient. Mit beidseitig in der Cockpitdecke angebrachten Seilen könnten sich die Piloten abseilen wenn der Weg nach hinter versperrt ist. Nicht ganz einfach aus etwa sechs Meter Höhe bei einem Grossraumflugzeug.