An Silvester unterwegs

Geschrieben von Markus Müller
Silvester in Sao Paulo

Früher konnte man wünschen, Feiertage wie Weihnachten oder Silvester lieber zu Hause oder im Ausland verbringen zu wollen. Heiliger Abend Im Flug war sehr selten, da einerseits der Flugplan mangels Passagiere stark reduziert wurde und am fünfundzwanzigsten gar nicht geflogen wurde. Das hat sich drastisch geändert. Es wird heute immer geflogen und sogar am fünfundzwanzigsten sind die Flugzeuge voll.

Festtagsflüge werden nicht mehr nach den Wünschen der Besatzungen zugeteilt, sondern durch den Computer, dem es Wurst ist ob es Mütter oder Väter betrifft oder ob jemand ganz gerne weg von zu Hause wäre an diesen speziellen Tagen.  Am liebsten sind mir die Flüge mit Landung in Zürich am Weihnachtstag oder an Silvester. Die ganze Welt wünscht sich entweder schöne Weihnachten oder ein gutes neues Jahr am Funk. Speziell in Erinnerung blieb mir der DC10 Silvesterflug 1991 über den Nordpol. Im Fernen Osten wurden wir früher komisch beäugt wenn wir uns um Mitternacht in die Arme fielen. Mittlerweile wurde die westliche Sitte weitgehend übernommen und vor allem kommerzialisiert. Das eigentliche Neujahrsfest findet dann gemäss ihrem Kalender später statt. In Bangkok ist es ein feuchtfröhliches Erlebnis. Ich staunte nicht schlecht als mir der Copilot Freude strahlend mitteilte, er habe eine überdimensionierte Wasserpistole im Gepäck. Und er setzte sie mit Eifer ein im Ausgang mit dem Effekt, dass wir zur Zielscheibe der Thais und folgerichtig klatschnass wurden. Beim Wasserfest an ihrem Neujahrsfest ist es nämlich üblich mit Wasser um sich zu spritzen mit Kübeln, Schläuchen und allem was geeignet ist. Vorletztes Jahr ging es ruhiger zu. Auf dem Flug nach Johannesburg traf uns der Jahreswechsel bereits über dem Mittelmeer. In fast militärischer Disziplin fanden sich die Flight Attendants der Reihe nach im Cockpit ein um mit uns anzustossen – mit Rimuss den ich wohlweislich mitgenommen hatte. Den Passagieren offerierten wir Champagner nach dem Glückwunsch über den Bord Lautsprecher. Und dann war Ruhe bis zum Nachfest in Joburg.


Feiern mit zwei Millionen
Auf diese Silvester freute ich mich. Sao Paulo stand im Flugplan. Gerne stellen wir „perfekten“ Schweizer das Organisationstalent der Südländer in Frage. Ich gehöre nicht dazu denn ich habe nach über achtzig Brasilienflügen grösste Hochachtung wie eine dreissig Millionen Stadt am funktionieren erhalten wird. Auch an diesem Tag wurde eine Bravourleistung vollbracht. Am Morgen war die Avenida Paulista, eine achtspurige Strasse quer durchs Zentrum, Schauplatz des Silvester Laufs. Fünfundzwanzigtausend Läufer liefen bis in die späten Nachmittagsstunden bei grosser Hitze über die Ziellinie. Gewonnen wurde der Lauf standardmässig von Kenianern. Ein zweiundsiebzigjähriger Brasilianer zeigte uns freudestrahlend seine Medaille. Er war die fünfzehn Kilometer in sagenhaften dreiundsiebzig Minuten gelaufen. Aber rasch wurde es in den hinteren Rängen volkstümlich bis skurril. Diverse Kostüme machten den Lauf bunt und brachten Karnevalsstimmung auf. Ein Läufer marschierte im mitgeschleppten Käfig. Das sei eine Demonstration gegen die Korruption, klärte uns ein Einheimischer auf. Am Strassenrand lagen Knie tief leere Wasserflaschen. Innert Stunden war alles aufgeräumt und die Paulista auf ein paar Kilometer Länge abgesperrt mit Gittern. In der Mitte wurden alle fünfzig Meter riesige Lautsprecherboxen und Bildschirme montiert.


Countdown aus über zwei Millionen Kehlen
Nach einer üppigen Churasco mischten wir uns vor Mitternacht unter die über zwei Millionen Menschen auf der Paulista und harrten was uns erwarten würde. Alle mussten zuvor Sicherheitskontrollen passieren und wurden abgetastet. Hut ab. Militär und Polizei kontrollierten jeden, Glas und Metallgegenstände waren nicht gestattet. An den vielen Getränkeständen durften nicht einmal Büchsen abgegeben werden sondern alles musste in Plastikbechern ausgeschenkt werden. Nur schon der Countdown war ein einmaliges Erlebnis. Wenn über zwei Millionen Kehlen von zehn auf null retour zählen, dann ein gleich vielstimmiger Aufschrei erschallt, ohrenbetäubende Musik aus den Lautsprechern donnert und sechs Tonnen Feuerwerk zwischen den Hochhäusern hoch gehen läuft es einem kalt den Rücken hinunter trotz dreissig Grad.  Auf der über acht Spuren montierten Brücke spielten Life Bands auf hunderte Bildschirme und Lautsprecher übertragen. Hundertausende sangen mit und ebenso viele tanzten die Paulista hinauf und hinunter. Um zwei Uhr wurde auf Diskomusik umgestellt, um drei fuhren Reinigungsmaschinen auf und am Morgen rollte der Verkehr wieder normal auf der sauberen Paulista. Wir haben hunderttausende fröhliche Menschen gesehen, wir haben mit Leuten angestossen mit denen wir zuerst das Bier teilen mussten da sie keines kaufen konnten und ich habe weder eine Schlägerei noch wirklich stark Betrunkene gesehen. Das hat unser kleines Städtchen am Rhein offenbar trotz weniger durstigem Wetter gemäss Polizeiberichten offenbar nicht fertig gebracht. Kompliment Sao Paulo. Ich wurde im nachhinein öfters gefragt, ob ich tatsächlich wie im Radio Munot  ausgesagt in weiss gekleidet hinüber gerutscht sei. Bin ich, gemäss brasilianischem Brauch. Und das Gespräch mit Sara Keller hat mich fünfunddreissig Franken gekostet da das Skype Netz zusammen gebrochen war.   

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