Füdli Flieger, HighTech Piloten, Aerodynamik und Hierarchien

Geschrieben von Markus Müller

Heulend stieg am Wochenende die Votec 351 Kunstflugmaschine über dem Flugplatz Schmerlat senkrecht in den Himmel um am Motor hängend zu verharren. Jetzt setzt er zu einem Renversement an, meinte mein Flugkamerad aus alten Zeiten. Er lag falsch. Der Pilot brachte mit ein paar gekonnten Ruderbewegungen seine Maschine mit einem Überschlag in eine Trudel Bewegung um drei Achsen um sie darauf mit heulendem Motor auf den Rücken zu ziehen.

Ein Immelmann, unsere Voraussage. Wieder falsch. Wilde Torkel Bewegungen folgten, moderner Kunstflug super motorisiert. In der Fliegerschule übten wir vor über dreissig Jahren noch klassischen Kunstflug mit schwach motorisierten Flugzeugen. Viel Gefühl war gefragt. Unzählige Male kippten wir vom Himmel. Weiter üben bis der Fluglehrer mit mitleidigem Lächeln und nach “gib mal her“ ein makelloses Kunstflugprogramm hinlegte um am Schluss im Rückenflug knapp über eine Krete hinweg oder auf Augenhöhe der Touristen über den Blausee zu jagen. Jetzt nur den alten Militärhaudegen nicht provozieren der wieder einmal vergessen hat, dass er in einem lahmen Piaggio und nicht im Hunter sitzt. Ein echter Füdliflieger eben. Das Fluggefühl im Hintern hatten wir zwar auch, aber wir wurden, der rasanten Entwicklung Rechnung tragend, bereits schwergewichtig als „Kopfflieger“ selektioniert für Instrumentenflug im Swissair Jet. Physik und Aerodynamik bleiben. Es braucht Geschwindigkeit und Höhe um oben zu bleiben. Beim ziehen am Steuer werden die Häuser kleiner, beim stossen grösser. Die Verbindung Pilot Maschine wandelte sich von Seilen und Stangen zu elektrischen Kabeln und dazwischen geschaltete Computer. Das veränderte neben dem fliegerischen Alltag auch die Schulung. Eine Umschulung dauerte früher Wochen. Klassenunterricht, Lernmaschine, vierzig Stunden Simulator, Flugtraining. Heute bekommt man eine CD zum Selbststudium, wenige Simulatorstunden, die Flugzeuge sind sich alle ähnlich, kurzes Flugtraining. Früher hiess es Limiten auswendig lernen. Heute geht es um Verständnis komplexer Systeme. Mit Zahlen kann der Computer besser umgehen, lernend  voraus schauen muss immer noch der Pilot.


Büffeln, Schürzenjäger, Social Life
Die bis zu vierzehn Tage langen Auslandaufenthalte wurden von den Fluglehrern unterschiedlich genutzt. Mein DC10 Ausbildungsflug ging nach Brazzaville. Während Flight Engineer und Kabinenbesatzung das Pool Leben genossen, wurde ich vom Schaffhauser Flugkapitän und Chefpiloten F.H. in bestimmten Ton aufs Zimmer gebeten. „Wenn jetzt über dem Himalaya ein Triebwerk abstellt was machst du, reicht der reduzierte Schub über die Berge, erreichen wir die Destination“, überliess er mir Handbücher und Flugkarten und nahm die Hoffnung auf einen lockeren Poolnachmittag. Strecken messen, Tabellen interpolieren, Wetter interpretieren und rechnen. Jahre später Umschulung auf MD11. Zwei erfahrene Langstrecken „Lehrlinge“ in Brazzaville. Der Kapitän, Manager Swissair Operation und ich, langjähriger technischer Pilot. Fluglehrer und überlebender Deutscher Starfighter Crack H.S., befahl uns am Nachmittag in seine Suite zwecks Ausbildung. Das sei nun wirklich nicht nötig, meinten wir gestanden Langstreckenpiloten mit sehnsüchtigem Blick zu unseren Flight Attendants am Pool. Zuerst ein Bier gegen die vierzig Grad. Dann holte H.S. die Whisky Flasche, damaliger Hotelservice für Kapitäne, und liess über seinen Kasettenplayer zum philosophieren über alles ausser die Fliegerei die Schürzenjäger singen. So ging es drei Tage, trotz Protest und ohne je ein Flughandbuch zu öffnen. Am vierten Tag liessen wir ihn mit den Schürzenjägern allein und fuhren mit der ganzen Crew an die Kongo Wasserfälle. Leider sind beide Beispiele selten geworden durch kurze Aufenthalte und verändertes Computer gestütztes Lernverhalten.


Verantwortung kann nicht delegiert werden in der Fliegerei   
Moderne Cockpitarbeit ist offene Kommunikation, Teamwork und lernen aus Fehlern. Bei aller Veränderung bleiben aber die Hierarchien unverrückbar. In Chicago bat mich ein Passagier beim aussteigen, ich möchte mich doch um ein weinendes Flight Attendant hinten kümmern. Beim Gespräch stellte sich heraus, dass sie bei ihrem zweiten Langstreckenflug im Briefing bereits die Anweisungen des Kabinenchefs in Frage stellte, bei den von ihm in Erinnerung gerufenen Notmassnahmen bekannt gab sie würde es anders, aus ihrer Sicht besser, machen und im Flug ihren Arbeitsplatz in der Nähe des Chefs verliess und eine Kollegin dorthin schickte. Die Zurechtweisung endete dann in Tränen. Beim Gespräch meinte sie dann wieder keck, ihr Vater, ein Berufsmilitärpilot hätte eh gemeint sie würde sich wohl schwer tun sich unterzuordnen, er sehe sie nicht in diesem Job. Er hatte Recht und der Rückflug war ihr letzter. In kritischen Situationen muss jeder seine Aufgabe kennen, diese strikt zu Ende führen und Hierarchien müssen spielen. In letzter Konsequenz befiehlt der Kapitän, denn er muss auch den Kopf mit gravierenden Konsequenzen hinhalten wenn etwas schief geht. Letzteres würde übrigens auch in Industrie und Politik gut tun. Erstere ohne grosse Abfindung bei Versagen und letztere indem die führenden Köpfe auch etwas ab bekommen müssten entgegen Reaktionen in jüngsten Beispielen.

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