Direkt ist nicht immer direkt

Geschrieben von Markus Müller
Die Swissmaschine vor dem Uetliberg und den Alpen

Kürzlich wurde ich gefragt, weshalb wohl jede Mitternacht die Turkish Airline von New York nach Istanbul genau über die Stadt Schaffhausen fliege. Jeder kontrollierte Flug kann heute von jedermann weltweit mit dem App Flightradar24 zur tatsächlichen Zeit verfolgt werden mit Höhen-, Geschwindigkeits-, Typen und Fluggesellschaftsangaben. Es wäre doch besser südlich der Alpen zu fliegen wo der Weg kürzer wäre. Wenn man einen Lineal auf die Landkarte legt könnte man tatsächlich zu dieser Ansicht kommen.

Die kürzeste Route würde über Rom führen. Die Darstellung der Geografie auf einer Ebene verzerrt allerdings die Abbildung der Landschaft je nach Projektionsart. Auf so eine grosse Distanz massiv. Wenn man nämlich das Ganze auf der Kugel, dem Globus, betrachtet und eine Schnur von New York nach Istanbul legt, dann führt der kürzeste Weg über Südengland und eben ziemlich genau Schaffhausen. Dem sogenannten Grosskreis entlang. Diesen versucht man aus ökologischen und ökonomischen Gründen auch abzufliegen, vor allem im Langstreckenverkehr. Das ist leider nicht vollständig möglich, da Einschränkungen wie vorgegebene Luftstrassen, Landesgrenzen,  hohe Berge oder sehr grosse Wasserflächen dies verhindern. Der Globus ist mittlerweile übersäht von Luftstrassen, ähnlich einem Strickmuster, ausser auf dem Nordatlantik. Aufgabe des Flugplaners, dem sogenannten Dispatcher, ist es die Route so zu legen unter Benutzung der unzähligen Luftstrassen und vorausgesetzt es wird so genehmigt von den Luftverkehrszentren, dass der Flug dem Grosskreis möglichst nahe kommt. Das wird auf dem Flugplan jeweils ausgewiesen, beispielsweise auf meinem letzten Hongkong Flug mit 110 Prozent der Grosskreis Distanz. Das sind zehn Prozent zu viel gegenüber dem idealen Flugweg oder fast neun Tonnen zusätzlich verbranntes Kerosin. Nach LA kamen wir dem Idealflugweg mit 102 Prozent schon recht nahe. Die Distanz ist eine Sache, die andere ist der Wind. Der Planer wird versuchen den Flug in den stärksten Rückenwind zu legen oder in den schwächsten Gegenwind. Damit ist unter Umständen die längere Distanz viel schneller und braucht weniger Treibstoff. Dem wird auf dem Nordatlantik, wo es keine fixen Luftstrassen gibt, täglich Rechnung getragen indem ein Bündel von temporären Luftstrassen, sogenannte Tracks, gerechnet und zur Verfügung gestellt werden. Am Morgen Richtung Westen für den Pulk von Europa nach Nordamerika und am Abend Richtung Osten für die Nachtflüge nach Europa. In der Regel führen die Westflüge weit in den Norden bis über Grönland um den grossen Westwinden auszuweichen während die Ostflüge viel südlicher bleiben und den Jetstream ausnützen. Das kann ohne weiteres zu Zeitgewinnen von mehreren Stunden und dutzenden Tonnen Treibstoff führen. 

Um sechs geht’s los mit Markus 181
In Kloten darf, als einziger wichtiger Flughafen in Europa neben Frankfurt, von 2330 bis 0600 nicht gelandet werden. Das kann zu Konflikten führen speziell auf Fernostflügen da die Flugzeit aus der erwähnten Problematik Flugweg und Windverhältnisse stark variieren kann und man den Start in Hongkong, Bangkok oder Singapore nicht beliebig herauszögern kann. Das führt zu unliebsamen teuren und hörbaren Warteschlaufen in der Gegend Untersee wenn man zu früh ist. Von Zürich aus werden diese Flüge frühzeitig koordiniert und ihnen bereits beim Start Ankunftszeiten zugeteilt für eine gestaffelte Ankunft. Das kann von den Piloten mit Geschwindigkeitsmanagment angestrebt werden wobei der Rahmen auf diesen grossen Flughöhen nicht sehr gross ist, bedingt durch zulässige Minimal- und Maximalgeschwindigkeit der Maschine. Auf meinem letzten Flug für Swiss von Bangkok kommend habe ich diese Anweisung für einmal wissentlich ignoriert, die Chefs und Buchhalter mögen mir verzeihen, und den Flug so eingeteilt, dass wir einerseits die ersten waren in Zürich und zudem zehn Minuten zu früh am Punkt Amiki östlich von Schaffhausen ankamen. Der erste Aufruf von Skyguide war nicht das erwartete „Guete Morge Swiss one eight one“ sondern als Überraschung „Guete Morge Markus one eight one“. Dieser von meiner Copilotin vorgängig organisierte Wechsel des Rufzeichens wurde von den Fluglotsen bis am Boden durchgezogen was den Abschied von der Langstreckenfliegerei nicht leichter aber persönlicher machte am aufwachenden Morgenhimmel. Die Ankündigung zehn Minuten warten zu müssen war nicht unerwartet sondern für einmal gewollt und wir baten uns über Schaffhausen zu führen. „Der Himmel über Schaffhausen gehört euch“, kam es prompt zurück. „Wir holen euch dann ab als Nummer eins für die Landung.“  Zehn Minuten Zugabe auf 17000 Flugstunden. Wie es sich gehört wenn Engel fliegen rissen die Wolken ab Diessenhofen auf und wir genossen im mit Stehplätzen gefüllten Cockpit die einmalige Aussicht vom Rheinfall bis nach Beggingen, über den Reiat zum Munot. Die gewünschten Engel die mich neben der ganzen Familie begleitet haben waren Cousine Sandra Kaninke-Müller, Heidi Schneider-Gretener und Carmela Romer. Alles Schaffhauser Flight Attendants mit denen ich während Jahrzehnten tolle Erlebnisse teilte von der Chinesischen Mauer, Krabbenfischen in Karachi, Strand von Rio, Safari in Afrika bis zum unvergesslichen letzten Aufenthalt in Bangkok, sowie Copilotin Yvonne Schwarz. Zum x-ten Mal und immer noch faszinierend folgte der Südanflug. Das ganze Alpenpanorama vor uns, die Dampffahnen aller Schweizer Atomkraftwerke in Sicht, am Horizont taucht der Südafrika Flieger auf, eindrehen dem Zürichsee entlang und an der Stadt Zürich vorbei auf die Piste 34. 

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