Am Samstagabend nahm ich die Kolumne in Angriff. Das vorgenommene Thema wurde dabei spontan über den Haufen geworfen. Und das ausgerechnet durch Fussball, wo ich doch ein totaler Fussballbanause bin, in der Schweiz noch nie ein Spiel besucht habe und immer nicht weiss was Offside ist. Ausgerechnet im flüssigen Schreiben zappte ich kurz ins Olympia Programm wo das Endspiel Brasilien gegen Deutschland tobte.
Der Anblick des vertrauten voll besetzten Maracana Stadions mit der einmaligen Stimmung die sogar vom Schweizer Fernsehen vermittelt worden wäre hätte man doch nur den Kommentator ausblenden können, verhinderte eine ernsthafte Fortsetzung des Begonnenen. Schliesslich schrieb ich am grossen Computerbildschirm diese ganz andere Kolumne und am iPhone verfolgte ich das Spiel. Die Fachleute mögen mir verzeihen, aber in meinen Augen war das Spiel viel interessanter und sportlich erfreulicher als die vergangene Europameisterschaft. Also neues Thema und Fokus auf den brasilianischen Fussball den ich, trotz völliger Unkenntnis, liebe. Wir hatten ein paar wunderschöne Tage in Rio mit vielen Aktivitäten und einer sehr geselligen Crew. Es wäre schön noch eine Nacht länger zu bleiben, meinte ein Flight Attendant beim Morgenessen mit Blick auf den unweigerlich kommenden Nachtflug zurück nach Zürich, damals mit Zwischenlandung in Genf. „Du musst einfach die Besteckschublade ins Triebwerk schmeissen wenn wir dieses starten“, gab ich ihr lachend eine natürlich nicht ernst zu nehmende Steilvorlage für einen verlängerten Aufenthalt. Ihr heimlicher Wunsch ging in Erfüllung. Ein Anruf riss mich aus dem nachmittäglichen Vorschlaf für den langen Nachtflug. Die DC-10 sei in Buenos Aires blockiert wegen Fahrwerkschaden. Wir würden am anderen Tag einen Ferry Flug, einen Überführungsflug machen ohne Passagiere da das Center Gear, das vierte Fahrwerk direkt unter dem Rumpf, nicht mehr ausgefahren werden konnte. Die, natürlich auch für die Arbeit, top motivierte Crew hatten wir rasch organsiert und Luis, unser einheimischer Freund vor Ort (siehe Juli Kolumne) schlug uns vor das Spiel der Stadtrivalen Flamenco gegen Vasco da Gama anzuschauen. Er habe zufällig Tickets, wobei zu vermuten war, dass er sich einfach einen höheren Preis vorstellte bei uns als von denen für die er sie eigentlich erstanden hatte. Das Spiel war der Hammer. Nicht wegen dem Spiel das ich sowieso nicht verstand zudem die Spieler ganz klein und ganz weit weg waren. Aber wegen der Stimmung und wegen dem Publikum. Das Maracana nahm damals noch wei über hundert Tausend Zuschauer auf und bebte beängstigend. Luis war so freundlich und wies uns darauf hin, dass wir in der Ecke der Vasco Fans sassen und ja mit und nicht gegen diese jubeln sollten, was uns unzweifelhaft das Leben rettete. Links und rechts, hinten und vorne hielt sich jeder sein kleines Radio ans Ohr mit voll aufgedrehtem Volumen. Die jeweiligen Lieblingskommentatoren schrieen sich die Seele aus dem Leib und stimmten lediglich bei einem Goal den gemeinsamen Chor „Gooool“ an der sich nach einem Wettbewerb anhörte wer am längsten kann ohne Luft zu holen. Zwanzig Minuten vor Spielende gestikulierte Luis wir sollten dringendst mit ihm das Stadion verlassen, was uns als rechnende Schweizer natürlich gar nicht einleuchtete. Wir hatten ja schliesslich für die ganze Spieldauer bezahlt. Die Folgeleistung zahlte sich aus hätten wir sonst wahrscheinlich die Sonntagnacht im Stau verbracht. Auch die gewaltsame Todesrate war gemäss Morgenpresse ziemlich hoch in jener Nacht. Das Flugzeug kam tatsächlich am anderen Tag von Buenes und wir flogen es mit einem technischen Zwischenstopp in Dakar mit blockiertem Center Fahrwerk nach Zürich zur Reparatur. Das Problem war, dass wir wegen dem nicht mehr ausfahrbaren Fahrwerk ein massiv reduziertes maximal erlaubtes Startgewicht hatten und damit trotz fehlender Ladung nicht genug Treibstoff mitnehmen konnten für einen Nonstop Flug. Der ungewohnte Tagflug über Westafrika war das zweite Highlight des verlängerten Aufenthalts. Eine einmalige, heute kaum mehr denkbare Leistung erbrachte unser in Rio stationierte Mechaniker. Er begleitete ohne Unterbruch als Verantwortlicher Engineer den Flug Rio – Sao Paulo – Buenos Aires – Rio – Dakar – Zürich – Genf – Rio – Sao Paulo – Buenos Aires – Sao Paulo – Rio und stellte neben der Bereitstellung der DC-10 für den technischen Überflug nach jeder Landung das Flugzeug wieder technisch bereit für den nächsten Start. Er war, als einer der besten technischen Kenner der DC-10 und MD-11, mit ein Grund für die vielen Rio Flüge. Als technischer Pilot konnte ich mit ihm zusammen, bewirtet von seiner Frau in der Wohnung in Ipanema, viele Fragen betreffend Handbücher und Wartung lösen und der Hersteller Firma in Long Beach viele Tips aus der Praxis geben. Leider hat ihn das Schicksal des Fleissigen, Herzinfarkt, zu früh getroffen.
Ich habe seither diverse Fussballspiele angeschaut, ausschliesslich in Brasilien. Auch ausserhalb der Stadien. Während einer WM im Galetto, eine offene Bar um einen Holzgrill mit Chicken und Filetspiesse herum, das Spiel Brasilien Schweden. Als die Selecao das erste Goal kassierte schimpften alle. Nach dem zweiten Gegentor zogen sie ihre grün-gelben T-Shirts aus und traten sie mit Füssen. Nach dem 2 zu 1 schauten sie wieder zum Bildschirm, nach dem 2 zu 2 zogen sie die T-Shirts wieder an und nach dem 3 zu 2 wurde der Lärm unerträglich und die Stammgäste spritzen mit allem herum vom Ketchup über Senf bis zum Olivenöl. Eine halbe Stunde später fuhren riesige Sattelschlepper mit Musikboxen der Copacabana entlang auf. Die spontane Sambanacht dauerte bis in den Morgen. Ich nehme an so war es letzten Samstag auch.