Einmal auf einen Nobelpreisträger hinunter schauen

Geschrieben von Markus Müller
Flugzeug auf Paletten in Cairo

Gut, damals wusste ich noch nicht, dass ihm im Jahr 2016 der Literaturnobelpreis verliehen werden soll. Im Nachhinein ist es natürlich ein erhabenes Gefühl, im wahrsten Sinne des Wortes auf einen, mindestens zukünftigen, Nobelpreisträger hinunter geblickt zu haben. Am 4. Mai 2000 pendelte ich wie gewohnt während der Flugvorbereitung zwischen dem Business Galley und dem Cockpit hin und her um mir ein Bild zu machen wie das Boarding läuft und was für Passagiere zusteigen. Dass dabei der Weg durch die erste Klasse führt ist einerseits gerade auf USA Flügen sehr  interessant aber auch wichtig, da diese Passagiere eine grosse wirtschaftliche und Image relevante Bedeutung für eine Airline haben.

Dabei fiel mir ein unscheinbarer älterer Herr mit durch das Halstuch fast völlig verdecktem Gesicht auf, der bereits zu schlafen schien. Der Name Robert Zimmermann auf der Passagierliste sagte mir nichts. Nach einer Rollzeit von fast einer Stunde auf dem ständig überlasteten Flughafen JFK erhielten wir die Starterlaubnis auf der Westpiste, was uns einen langen Blick auf die Skyline Manhattans erlaubte, bevor wir links abdrehten und die Nase unserer A330 Richtung Europa richteten für die nächsten sechs Stunden geradeaus Flug. Links unten verschwanden Long Island, Halifax, die letzten Lichter Neufundlands, ein paar flackernde Ölplattformen und dann war nur noch finstere Nacht unter uns. Der unendliche Sternenhimmel wurde lediglich gestört durch ein paar entgegenkommende blinkende Kollegen, uns überholende schnellere Boeing Flugzeuge und einer Sternschnuppe vor der wir fast den Kopf einzogen so nahe schien sie. Auf meinem ersten periodischen Gang durch die Kabine, im vor Nine Eleven Zeitalter noch gang und gäbe um einerseits die Beine zu vertreten und andererseits sich ein Bild zu machen was in der Kabine läuft und ein paar Worte mit den Flight Attendants oder auch mit Passagieren zu wechseln, fiel mein Blick wieder auf den unscheinbaren Mann. Halb ausgestreckt lag er mit offenen Augen im Erstklass Sitz. Da fiel der Groschen, es war Bob Dylon. Ich konnte es nicht lassen mich zu ihm hinunter zu beugen, mich kurz vorzustellen als Kapitän dieses Swissair Flugzeugs und wie ich mich freuen würde ihn, ein früheres Jugendidol, nach Zürich fliegen zu können. Spontan streckte er die Hand aus und bedeutete mir mich auf den sogenannten Ottoman, wo man entweder die Füsse lagern kann oder sich der Reisepartner hinsetzen kann zum gemeinsamen essen, hinzusetzen. Er selber blieb liegen was mir etwas komisch bis unangenehm erschien auf ihn hinunter zu schauen. Wir unterhielten uns blendend über die Zeit damals, wie er uns junge Studenten beeindruckt hatte, wie wir alle die Welt verbessern wollten und über seinen Song „Blowin In The Wind“ der natürlich einen guten Link zu meiner bescheidenen Welt herstellen liess, wo uns der Jetstream mit über zweihundert Stundenkilometer und einer resultierenden Geschwindigkeit von über Tausend gegenüber dem Wasser nach Europa blies. Das Gespräch wurde abrupt unterbrochen durch eine junge, ich würde nicht gerade sagen Dame, die von oben herab meinte ob ich nicht im Cockpit benötigt würde anstelle mich mit dem Passagier zu unterhalten. Ich hätte einen sehr guten Copiloten vorne der das Flugzeug problemlos steuern würde in meiner kurzen Abwesenheit, konterte ich. Zu meinem Erstaunen würdigte sie mein Gesprächspartner keines Blickes sondern gab ihr ziemlich herablassend mit der Bewegung seines Handrückens zu verstehen, dass ihre Anwesenheit nicht in seinem Sinne war. Meine spontane vorwitzige Bemerkung, ich würde meine Angestellten nicht in der ersten Klasse fliegen lassen, liess ihn herzhaft lachen und bestätigte zum Glück meine Annahme es handle sich lediglich um eine rein berufliche Begleitung. Erst recht unter den giftigen Blicken seiner Begleitung setzten der früh Achtundsechziger und ich spät Achtundsechziger die Unterhaltung fort über Woodstock, Vietnam, Nixon. Reagan und die Bushs.

Im Flugzeug sind alle gleich

Dylon würde kaum mit mir gesprochen haben wenn ich ihm auf den Strassen News Yorks begegnet wäre. Als Flugzeugpassagiere sind aber auch Promis ganz normale Leute. Sei es weil sie den Piloten völlig ausgeliefert sind oder wegen der urmenschlichen Faszination fliegen. Für die Physik sind alle Passagiere aber auch Zahlen. Abfluggewicht und die Lage des Schwerpunkts spielen eine wichtige Rolle auch bei Grossraumflugzeugen. Ungünstige Passagierverteilungen kann man mit der Ladung, dem Platzieren von Passagieren vorne im Flugzeug oder indem man Flugpersonal für den Start ins Cockpit nimmt  ausgleichen. Passagiere werden nicht gewogen man nimmt ein Standardgewicht an. Behördlich  genehmigt und von Zeit zu Zeit angepasst, in der Regel nach oben der Tendenz der westlichen Gesellschaft Rechnung tragend. Auf Japan Flügen gilt ein tieferes Passagiergewicht und auf Spezialflügen etwa mit Seeleuten erhöht man es. Startgewicht und Schwerpunkt, welche Startleistung, Steuereinstellung und Betankung definieren, werden heute meist per Computer berechnet. Wo Menschen Computer füttern gibt es halt auch Fehler. Wir hatten in Shanghai bereits die Bewilligung auf die Startpiste zu rollen als die Meldung kam, wir sollten warten es sei eine Unstimmigkeit festgestellt worden. Tatsächlich kam kurz darauf ein neues Ladeblatt. Die Flugdaten wurden neuerdings nicht mehr vor Ort berechnet, sondern nach Johannesburg übermittelt. Das dort gerechnete Ladeblatt wurde via Zürich dem Flugzeug übermittelt. Nur hatten sie in Joburg die Standardgewichte einer anderen Airline verwendet. Das Stationspersonal in Shanghai, das den Fehler entdeckte, rechnete die folgenden Flüge wieder wie bisher von Hand mit Tabellen.

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