Frostige Fliegerei

Geschrieben von Markus Müller
Schneeräumung in Boston

Auf Gebrauchsanweisungen steht oft die zulässige Temperatur. Ein Verkehrsflugzeug muss deutlich mehr aushalten, nämlich von minus siebzig bis fünfzig Grad plus. Dazu rasche Temperaturwechsel mit Differenzen von über hundert Grad innert kurzer Zeit und ändernde Luftfeuchtigkeit. Hohe tropische Temperaturen machen vor allem dem Kabinenklima zu schaffen, verlängern die Startrollstrecke und reduzieren die Triebwerkleistung. Die Aircondition ist gefordert. Nicht Rauch kommt aus den Luftdüsen, sondern sichtbar gewordene Luftfeuchtigkeit der herunter gekühlten Luft.

Einige afrikanischen Länder verpflichten die Crew, Insektizide in die sonst schon dicke Luft zu sprayen. Zur Kontrolle checken lokale Behörde die leeren Spraydosen. Der gewiefte Kabinenchef führt dazu prophylaktisch ein paar leere Dosen mit. Tiefe Temperaturen machen dem Flugzeug vor allem im Zusammenhang mit Feuchtigkeit zu schaffen. Eisbildung im Triebwerk, auf Flügel, Steuerflächen und Rumpf sind gefürchtet. Sich lösende Eisstücke können das Triebwerk beschädigen. Frost, Schnee und Eis auf Tragflächen verändern neben dem zusätzlichen Gewicht das aerodynamische Profil und der nötige Auftrieb ist nicht mehr gewährleistet. Vorsorglich werden die Triebwerkeinlässe deshalb bei Feuchtigkeit bereits bei Temperaturen unter zehn Grad mit Heissluft geheizt bis die Aussentemperatur auf unter minus vierzig Grad fällt. Die Flugzeug Oberfläche darf erst im Flug geheizt werden um die tragende Struktur des Flugzeugs nicht zu schwächen. Am Boden wird dafür jeglicher Frost oder Schnee auf dem ganzen Flugzeug mit Heisswasser entfernt und dann alles mit einer aufgespritzten Enteiser Flüssigkeit geschützt. Sobald das Flugzeug abhebt, werden bei Schneefall oder sich bildendem Frost die Tragflächen mit Heissluft beheizt. Ebenso in Wolken wenn sich als Indikator am Scheibenwischer Eiskristalle festsetzen. Bei Aussentemperatur unter minus vierzig Grad ist hingegen die Luftfeuchtigkeit meist zu gering für Eisbildung. Im Winter kann es über dem Nordatlantik sogar nötig sein in wärmere Luftschichten abzusinken oder mit schneller fliegen Reibungswärme zu erzeugen da das sich der Aussentemperatur annähernde Kerosin in den Flügeltanks die Filter verstopfen könnte. Die Cockpitscheiben sind während dem ganzen Flug geheizt gegen Beschlag und um die Festigkeit zu gewährleisten. Bei Ausfall der Scheibenheizung muss die Fluggeschwindigkeit reduziert werden im Falle eines Vogelschlags. Im Landeanflug auf Tokyo darf das Fahrwerk nur über dem Meer ausgefahren werden damit sich lösende Eisstücke nicht auf Häuser fallen. Eis im Flug ist immer Thema. Auch im Sommer und in hohen Wolken über dem Äquator. Richtig Winter am Boden ist eine Herausforderung. Es ist viel Erfahrung gefragt wenn der Mechaniker in Moskau oder Montreal am Morgen die Starterventile von Hand öffnen und am heulenden vibrierenden Triebwerk im richtigen Moment wieder schliessen muss, die Türwarnung nicht verschwinden will, das Bordwasser eingefroren ist oder die Piloten bemängeln nach Schulbuch seien die Hydraulik Federbeine des Fahrwerks plötzlich zu kurz. In den achtziger Jahren halfen wir Finnair aus. Die Gewerkschaften liessen nur Inlandflüge zu. Auf den Militärflugplätzen Rovaniemi oder Ivalo auf 69 Grad Nord und in 24 stündiger Polarnacht waren die Pisten Schnee oder wegen der heissen Jet Luft Eis bedeckt. Sand durfte nicht verwendet werden wegen den Militärjets. Wir mussten uns am Funk anmelden und bekamen ein Zeitfenster während dem Chemikalien die Piste landbar machten. Hauptproblem war aber, dass die elektronischen Anflughilfen nicht in Betrieb waren, sondern der beim Militär übliche GCA (Ground Controlled Approach) Anflug durchgeführt werden musste. Der Fluglotse leitet die Piloten unter ständiger Angabe von Kurs und Sinkrate zur Landung. Da wir diesen Anflug seit der Fliegerschule in den USA nicht mehr praktizierten, verlangten unsere Handbüchern ein so hohes Sichtminimum, dass wir die Piste nie sahen und mit Passagieren und Fracht wieder nach Helsinki zurück kehrten. Als die Operation zu scheitern schien, liessen sich unsere Chefpiloten überzeugen, dass  wir das schon könnten und faxten uns die Bewilligung, wie die finnischen Kollegen auf hundert Fuss abzusinken. Es war anspruchsvoll den Anflug damals noch von Hand ohne Autopilot extrem genau zu fliegen und brauchte Nerven auf das Durchstossen der Nebeldecke auf nur 100 Fuss zu warten. Die Fluglotsen halfen enorm und kommandierten auch ein Durchstartmanöver wenn ihnen die Abweichung auf dem Radarschirm zu gross schien. Die Militär Kollegen meldeten uns am Funk wann sie was gesehen hatten. Piloten mit deutschem Pass waren übrigens ausgeschlossen. Als Kriegsfolge durften sie keine finnischen Flugzeuge fliegen. Der Schwede im Swissair Team erleichterte uns das Leben nach dem Flug mit Sprache und mental. Der Feierabend begann mit Sauna. Mit unerbittlich harter Bürste wurde man noch unerbittlicher abgeschrubbt. Nachher gab es nach Sägemehl schmeckende Saunawurst und Vodka. In der Disco gab er den Tipp bis elf Uhr zu warten, dann seien die finnischen Männer betrunken und man habe grosse Tanzauswahl. Der Umgang mit richtig hartem Winter ist sehr unterschiedlich. In Anchorage wurden wir gewarnt, trotz beissenden 30 Grad unter Null immer nach herum streunenden Futter suchenden Eisbären Ausschau zu halten. In Toronto und Montreal spielt sich ein grosser Teil des winterlichen Lebens unterirdisch ab. Die Geschäfte sind mit Unterführungen verbunden. In Boston ist Schneeräumung ein Spektakel. Mit Baggern werden die Schneehaufen in Lastwagen mit riesigen Heizkesseln gekippt und das Schmelzwasser via Strasse in die Kanalisation geleitet.     

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