Wind und Fliegerei gehören zusammen

Geschrieben von Markus Müller
Wilma

Die Zeit der Jetstreams ist da. Sie schütteln Flugzeuge durch aber sorgen auch für extreme Flugzeiten mit mehreren Stunden Unterschied bei USA Flügen. Boston Zürich legten wir in Rekordzeit zurück mit bis zu 500 km/h Rückenwind. Wir Piloten genossen als einzige das Menue. Die jetzt aktuellen tropischen Wirbelstürme, im Osten Taifun im Westen Hurrikan, stellen im Gegensatz zu Gewitterstürmen keine unmittelbare Gefahr für die Fliegerei dar da sie gut voraussehbar sind.

Der Flugbetrieb wird eingestellt, Flüge gestrichen oder ausgewichen. Allerdings können die riesigen Sturmtiefs Geschwindigkeit und Weg überraschend ändern und die Flugoperation in Bedrängnis bringen. Das passierte uns im Oktober 05 mit Wilma. Wir erhielten ein intensives Meteo Briefing über den bis heute stärksten atlantischen Hurrikan mit einem rekord Tiefdruck von 872 hPa und Geschwindigkeiten bis 300 km/h. Wilma bewege sich langsam auf Yukatan zu. Unser Miami Hin- und Rückflug seien nicht betroffen. Das änderte sich dann allerdings plötzlich und die pausenlose Berichterstattung der US TV-Stationen liess schlimmes ahnen. Wilma nahm Kurs auf Florida und rasch Geschwindigkeit auf. Unser Anruf in Zürich stiess auf Verwunderung und mein Tipp an die nach dem Grounding neuen und unerfahrenen Planer, sie sollten gefälligst ins Wetterbüro gehen, entlockte ihnen wohl ein paar Sprüche über Besserwisser Piloten. Erst mein Nachsatz, Miami International Airport werde nächstens geschlossen und es würden alle Flugzeuge evakuiert setzte sie in Bewegung. Sie entschieden, was uns ein paar Sprüche betreffend lange Leitung entlockte, die nächsten Flüge zu streichen. Der nächste Entscheid, uns nach New York zu positionieren, sorgte für Kopfschütteln angesichts des geschlossenen Flugplatzes und wir richteten uns ein inklusive Notvorrat. Morgens um fünf ging es los. Der Wind peitschte Meer und Palmen. Noch unheimlicher als das Rütteln bei Erdbeben schwang das hohe Gebäude und trieb die letzten aus dem Bett. Fensterscheiben zerbarsten, Vorhänge und Bettinhalt flogen herum. Die Eingänge waren vorsorglich mit Brettern und schweren Möbeln verstärkt worden. Allmählich füllte sich die Lobby im Hotel nur für Airline Angestellte. Auf die Idee den vorhandenen Shelter (Zivilschutzkeller) aufzusuchen kam niemand. Der Lift war übrigens für Hurrikans zugelassen. Verstört entstieg ihm ein Steward von uns, in einer Hand seine Zahnspangen in der anderen ein Poulet das er sich vorgängig vorsorglich gekauft hatte. In seinem Zimmer riss der Sturm tatsächlich Fenster, Tür und Rahmen heraus. Nach zwei Stunden war es vorbei und ein wüstes Bild hinterlassend. Kein Strom, kein warmes Essen, alles geschlossen, nichts ging mehr. Fast nichts, denn es bildete sich eine spannende Mikro Geschäftswelt. Vor unserem Hotel baute einer einen Stand mit Gasgrill auf und hielt uns mit Hot Dog, Hamburgern und Sprüchen bei Laune. Nach zwei Tagen wurde im Publix unter Polizeikontrolle Gruppe um Gruppe zum Lebensmitteleinkauf eingelassen. Bezahlung nur mit Kreditkarte. Das brachte unser beliebtes Stimmung hebendes Crew Pool Barbecue zurück. Das Girl mit der sensationellen Oberweite hatte in der Aviator Bar einen 24 Stunden Betrieb aufgezogen. Ihr Heimweg sei eh durch umgestürzte Bäume versperrt und sie wolle das Durcheinander zu Hause gar nicht sehen, ihre logische Begründung. Die Fliegerfamilie dankte es mit Full House und Trinkgeld. Der Vorschlag Zürichs, mit Taxis nach Orlando zu fahren und nach New York zu fliegen, erntete Gelächter an der Bar, kam doch die American Crew gerade nach acht Stunden Irrfahrt wieder zurück. Kein Durchkommen ab Miami Beach. Die nächste Runde auf Zürich. Wilma hinterliess 63 Tote und 29 Milliarden Dollar Schaden. Im Rückflug sahen wir den sich abschwächenden Zyklon auf dem Weg nach Europa von oben.       

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